Die Türen des Jim Morrison
Jim Morrison ist zur Legende geworden, ein Mythos, den er selbst begründet hat. Er war der Sänger der Doors, ein sinnlicher Poet, ein tanzender Schamane, ein Amerikaner mit der Liebe zum Blues, ein Reisender in die endlose Nacht, ein erotischer Politiker, König der Eidechsen, die Inkarnation des griechischen Gottes Dionysos und ein Adonis des Rock and Roll. Diese Umschreibungen und Benennungen könnte man endlos fortführen, weil Jim Morrison uns dafür genug Stoff geliefert hat, obwohl oder gerade weil sein Leben so kurz war. Da sprach die seelenlose Stimme im dunklen Kinosaal: "Nicht neu ist das Abendprogramm. Sie haben's genossen dann und wann. Es zeigt Geburt, Tod und auch ihr Leben. Den Rest können Sie sich selber geben. Hatten Sie eine nette Welt während ihres Todes? Reich genug für einen Film?" Mit diesen Worten Jim Morrisons beginnt der Film "The Doors" von Oliver Stone. Das Leben des Jim Morrison war reich genug für einen Film. Kurz nach Gründung der Band sah er sein Leben wie das Aufleuchten einer Sternschnuppe am Nachthimmel. Er brannte an beiden Enden der Kerze. Das Leben verdichtete sich in ihm und alles was er wollte, war der Durchbruch zur anderen Seite. Er starb mit 27 Jahren in einer Badewanne in Paris und wurde auf dem Père Lachaise neben seinen bewunderten Dichterkollegen Proust, Balzak und Oskar Wilde begraben. Auch sein Tod ist zum Mythos geworden. Verschwand Mr. Mojo Rising wie sein Vorbild Rimbaud in Afrika? War es Mord oder Selbstmord oder eine Überdosis Heroin oder wirklich nur ein Herzstillstand? Arman Sahisi hat es in dem Buch "Jim Morrison. The Scream of the Butterfly" treffend formuliert, wenn er schreibt: "Symbolisch aber starb Jim Morrison an einer lang geplanten und bewußt gesetzten Überdosis Jim Morisson. Er erstickte, wenn man so will, bewußt und vorsätzlich an dem immensen Überschuß seiner eigenen Kraft". Das Grab von Jim Morrison ist zu einer Pilgerstätte seiner Fans aus aller Welt geworden. An seinem Todestag werden seine Gedichte vorgetragen und vielleicht spielt jemand Gitarre. Das ist schön. Aber leider gibt es auch immer ein Trinkgelage und hinterher gleicht der Ort einer Müllhalde. Die Grabsteine der ganzen Umgebung sind mit Graffiti besprüht. Dabei hatte er sich Rosen in seinem Garten gewünscht und königliche Kinder. Es ist, als würden wir die vielschichtige Persönlichkeit dieses Mannes nur auf seine dunkle Seite reduzieren, denn er war nicht nur Drogenkonsument und ein Trinker. Vielleicht gibt es eine würdigere und schönere Art, diesen Tag an seinem Grab zu feiern, denn die französische Friedhofsverwaltung möchte aufgrund der Vorkommnisse eine Überführung des Leichnams nach Amerika erwirken, doch das wäre nicht in Jim Morrisons Sinne. Die Musik der Doors hat ihre Kraft nicht verloren und das Phänomen Jim Morrison erlebt immer wieder eine Renaissance. Inzwischen sind sehr viele Biographien über ihn geschrieben worden. Sie sind alle spannend zu lesen und zeigen das Leben dieses faszinierenden Mannes jeweils aus einem anderen Blickwinkel. Jim Morrison wurde am 8. Dezember 1943 in Melbourne, ganz in der Nähe von Cape Kennedy geboren. Er wurde dort geboren, wo die Raketen hochgehen. Sein Vater war Admiral bei der Marine und gehörte dem Generalstab an. Er war Geheimnisträger und über seine Arbeit wurde im Hause niemals gesprochen. Später saß er im Pentagon. Jim hatte noch einen jüngeren Bruder und eine jüngere Schwester. Der Vater erzog seine Kinder militärisch. Er schlug sie nicht, sondern putzte sie herunter, bis ihnen die Tränen kamen. Er forderte Disziplin und Anpassung. Jim durfte seinen Vater nur mit Sir ansprechen. Der Vater kommandierte die Familie wie sein Schiff. Aus diesem Grund entwickelte Jim schon früh einen Haß auf jede Art von Autorität. Die Mutter stammte aus einer eher unkonventionellen Familie. Als Tochter eines Anwalts lebte sie zeitweilig in einer Kommune und der Vater kandidierte für die Kommunisten. Sie paßte sich dem Vater an, aber im Hause kommandierte sie ihn herum. Sie war dominant und lebenslustig. Die Eltern lernten sich kurz vor dem Angriff auf Pearl Harbor kennen. Der Vater lernte fliegen und diente auf einem Flugzeugträger. Die ersten beiden Jahre lebte Jim bei seinen Großeltern. Als der Vater aus dem Krieg zurückkehrte, mußte die Familie aufgrund der vielen Versetzungen immer wieder umziehen. Jim erinnerte sich nur an wenige Bilder seines Vaters, dem die Familie ständig hinterher fuhr und der dann doch nicht da war, und wenn er einmal da war, viel zu hohe Anforderungen an alle stellte, unter anderem auch die, daß man ihm demnächst da und dorthin nachzureisen habe. Jim konnte nirgendwo Wurzeln fassen. Er war ein überdurchschnittlich intelligentes Kind, sein IQ lag bei 149. Er legte aber keinen Wert auf gute Zensuren. Er wollte nicht, daß die Eltern in ihrem Bridge-Club damit angeben. Er spielte seinem Bruder und seinen Mitschülern oft böse Streiche. Im Klassenzimmer jagte er imaginäre Bienen, fiel vor den Mädchen auf die Knie und rezitierte Liebesgedichte. Er tat alles, um Aufsehen zu erregen. Er las sehr viel und schrieb schon als Kind die ersten Gedichte. Auf Kinderfotos sieht man ihn brav gescheitelt und ein wenig pummelig. Mit vier Jahren hatte Jim Morrison ein traumatisches Erlebnis. Es ist eine Geschichte, die immer wieder fragmentarisch in seinen Improvisationen auftaucht, und die auf "An American Prayer" festgehalten worden ist: "Ich und meine Mutter und mein Vater und Großvater und Großmutter, wir fuhren durch die Wüste in der Dämmerung und ein Lastwagen, vollgeladen mit indianischen Arbeitern, war gerade mit einem anderen Auto zusammengestoßen. Ich weiß nicht, was passierte, aber da lagen die Indianer überall verstreut auf der Straße und verbluteten. Der Wagen hielt. Zum ersten Mal fürchtete ich mich. Ich muß ungefähr vier Jahre alt gewesen sein, wo ein Kind noch wie eine Blume ist, der Kopf hängt im Wind. Wenn ich daran zurückdenke, dann kommt mir der Gedanke, daß die Seelen der toten Indianer, vielleicht ein oder zwei von ihnen, in meine Seele geschlüpft sind. Und sie sind immer noch da." Die Indianer klagten und weinten. Die Familie wunderte sich, warum die Indianer den Vorfall nicht stoischer ertrugen. Jim war außer sich. Sie ließen die Polizei und einen Krankenwagen holen. Aber Jim wollte mehr tun. Er war so durcheinander, daß der Vater ihm immer wieder erzählte, er habe das alles nur geträumt. In diesem Moment sprach der Vater ihm die Wahrnehmung ab, anstatt ihn zu trösten. In diesem Moment war der Schamane geboren. Mit dieser Geschichte hat Jim Morrison seine Eltern im Licht der Öffentlichkeit für tot erklärt. Dieser Übervater ist ihm wohl Zeit seines Lebens ein unbekannter Soldat gewesen. Auf der dritten LP der Doors im Jahre 1968 erschien "Unknown Soldier". Es wurde auch ein kleiner Film daraus gemacht, einer der ersten Vorläufer der heutigen Videoclips. Da sieht man die Bandmitglieder als Exekutionskommando am Strand von Venice. Jim wird an einen Pfahl gebunden und erschossen. Blut rinnt aus seinem Mund und ergießt sich auf ein Meer von Blumen. Man sieht Szenen aus dem Krieg, das Abfeuern der Kanonen, die Jubelfeier am Ende des Krieges und dazwischen furchtbare Bilder aus dem Vietnamkrieg. "The war is over. Its all over for the unknown soldier." Damals war der Vietnamkrieg noch auf seinem Höhepunkt und dieser Film war politisch gefährlich. Aus diesem Grunde wurde er auch nicht sehr oft gezeigt. Hier zeigt sich Jim Morrison als Pazifist und greift die Rolle des Vaters an. In dem Song "Wild Child" läßt er das wilde Kind in sich noch einmal aufleben: "Erwache. Schüttle die Träume aus deinem Haar, mein schönes Kind, mein süßes. Wildes Kind voller Gnade. Retter der menschlichen Rasse. Nicht deines Vaters oder Mutters Kind." In einem Interview hat Jim Morrison einmal betont, daß das Verdrängen der Gefühle ihm als das Grundübel der Menschheit schlechthin erschien. Er war der Meinung, daß man selbst den Schmerz wie ein Radio mit sich herumtragen solle. Unsere tiefen und reinen Gefühle werden uns im Laufe der Erziehung abtrainiert und diesen Vorgang verglich er mit einem Mord. In diesem Sinne ist Jim Morrison vielleicht niemals erwachsen geworden und aus diesem Grund hat sein Genius so manchen von uns überflügelt. 1961 studierte Jim für ein Jahr an der Florida State University und belegte Theater als Hauptfach. Er ließ sich die Haare lang wachsen, schrieb über die Bilder des Malers Hieronymos Bosch, beschäftigte sich mit den Folgen der Pest im Mittelalter und entwarf Bühnenbilder. Er schrieb weiterhin Gedichte in sein Notizbuch und zu dieser Zeit entstand auch "Horse Latitudes". Auf spanischen Schiffen warf man bei vollkommener Windstille auch den Ballast der Pferde über Bord, um wieder flott zu kommen. Diesen Todeskampf der Tiere beschrieb Jim Morrison mit eindrucksvollen Worten: "Wenn die stille See zu einem Panzer wird und ihre mürrischen und verkümmerten Strömungen winzige Monster erzeugen, ist wahres Segeln unmöglich. Merkwürdiger Moment. Und das erste Tier wird über Bord geworfen. Beine pumpen ungestüm ihren steifen, grünen Galopp und Köpfe bäumen sich auf, schweben, zerbrechlich, verharren. Einwilligung in stummer Nüstern Qual, sorgfältig verfeinert und versiegelt." Diese Worte haben die Doors später mit unheimlichen Klängen untermalt. Sie benutzten dafür einen der ersten Synthesizer und hämmerten wie wild auf Klaviersaiten herum, während Jim den Text mit unglaublicher Intensität vortrug. Die Doors haben in ihren Konzerten nicht nur einfach ihre Songs hintereinander abgespult. Es gab immer einen großen Raum für die freie Improvisation und daraus ergab sich manchmal eine Mischung aus heiterer Freakshow, Kabarett und Theater. Diese Inszenierungen erinnerten oft an die Aufführungen und Worte des schizophrenen und genialen Dichters Antonin Artaud, der ganze Abhandlungen über das Theater geschrieben hatte (z.B. über das Theater der Grausamkeit). Aus diesem Grunde nannte man die Musik der Doors auch Artaud-Rock. Während seiner Studienzeit hatte sich Jim Morrison auch mit diesem Dichter befaßt. Er hatte eine Vorliebe für die französische Literatur, schwärmte für Rimbaud, las aber auch Kafka und Freud und Nietzsche, interessierte sich für Magie und entdeckte dann die Dichter der Beatgeneration mit ihrem Helden Jack Kerouac. Jim fuhr mit einem Freund per Anhalter quer durch den Kontinent und suchte überall die Plätze auf, in denen Kerouac in "Unterwegs" gewesen war. Er las einfach ungeheuer viel und außerdem spielte er seine üblichen Streiche, fuhr das Auto seines Freundes gegen einen Telegrafenmast und einmal begannen seine Freunde ein Duell mit Regenschirmen. Jim war betrunken und griff sich einen Schirm aus einem Polizeiauto und der Schirm ging während der Rauferei verloren. Jim landete wegen Diebstahls, Ruhestörung, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Trunkenheit in der Öffentlichkeit für eine Nacht im Knast. Hier zeigt sich dieser Widerspruch in seinem Wesen. Er ist der Einzelgänger mit der Seele eines Steppenwolfes, Verse schreibend, romantisch, intelligent und introvertiert, und dann wieder bricht es aus ihm heraus und er wird zum Unruhestifter mit dem Hang zum Exhibitionismus. Jims Vater war zu dieser Zeit Kapitän auf einem Flugzeugträger und Jim sollte ihn dort besuchen. Er mußte sich die Haare schneiden lassen und der Vater drängte ihn, mit einem Maschinengewehr auf menschenähnliche Zielpuppen zu schießen. Ein Marinefotograf machte Fotos davon. Die Bilder zeigen einen traurigen Jim Morrison. Wenn er sich später an diese Tage erinnerte, dann voller Zorn. Jim schrieb sich an der Filmabteilung des Lehrstuhls für Theaterwissenschaft an der University of California in Los Angeles ein. Dort gehörten drei große Regisseure der Fakultät an: Stanley Kramer, Jean Renoir und Josef von Sternberg, die Jim Morrison mit glühender Verehrung bewunderte. Unter den Studenten war der junge Francis Ford Coppola zu finden. Jim fühlte sich dort wohl. Er fand Freunde, die intelligent, sehr belesen, witzig und unkonventionell waren. Es wurde ständig debattiert und Jim schrieb weiter Notizen in sein Buch. Später erschienen diese Gedanken in seinem Gedichtband "The Lords. Notes on Vision." Für ihn war der Kameramann ein Voyeur und der Film lebte von der Angst vor dem Ende. Eine Ansammlung toter Bilder, die künstlich befruchtet werden und die Zuschauer waren heimliche Vampire. Der Film war Spektakel oder Peepshow, Magie und Hexerei. Geschichte der Schatten. Die Lehrer betrachteten Jim Morrison mit Skepsis. Er war ihnen unheimlich. In ihren Augen spielte er immer Marlon Brando. Es ging auf die Mitte der sechziger Jahre zu. Die Spießigkeit und Enge der fünfziger Jahre waren gerade überwunden. Ein Musiker aus jener Zeit hat dieses Lebensgefühl in einem einzigen Satz humorvoll ausgedrückt: "In den fünfziger Jahren gab es keinen Sex. Nur Elvis hatte Sex." Der Rock and Roll hatte sich durchgesetzt und die Beatles waren gerade im Anmarsch. Marlon Brando und James Dean waren immer noch Helden auf der Kinoleinwand. Sensible Rebellen, die in ihre eigenen, mystischen Traumwelten versponnen waren. So witterten die Lehrer auch das Talent in Jim Morrison, aber dieses Talent war auch beunruhigend und gefährlich und es war noch nicht ganz ausgereift. Jim hatte noch nicht das richtige Medium gefunden, um seinen Ideen Ausdruck zu verleihen. So fiel denn auch sein Abschlußfilm nicht besonders gut aus. Dieser Film war eine eigenwillige Collage. Er hatte kein Drehbuch geschrieben (wie sein Vorbild Renoir) und der Film war schlecht geklebt und riß bei der Vorführung. Der Film ist nicht aufbewahrt worden und deshalb läßt sich der Inhalt nur aus Erzählungen rekonstruieren. In der ersten Szene sah man Jim, wie er den Rauch eines Joints inhalierte und den Kopf zurückwarf, dann ein tanzendes Testbild. Schnitt! Eine Atomexplosion! Auf einer Party warfen Studenten Dart-Pfeile auf Playboy-Poster. Indianergesänge. Szenen aus den Bars von Los Angeles. Ein Mädchen tanzte in Strapsen zu lauter Rock and Roll Musik auf einem Fernsehapparat, während Hitlertruppen über den Bildschirm marschierten. Ein Mädchen leckte das Auge des Kameramannes. Das Bild des Fernsehers verblaßte zum Punkt. Dunkelheit. Ende. Der Film war wohl der reinste Underground. Er wurde von den Studenten und Lehrern total verrissen. Man warf Jim Zusammenhanglosigkeit vor und nannte ihn geistesgestört. Er sei ein Kiffer und ein Chauvinist. Wenn man Jerry Hopkins und Daniel Sugerman in ihrer Biographie "Keiner kommt hier lebend raus", glauben darf, dann machten sie ihn in einem Atemzug zum Faschisten und zum Kommunisten. Einige Studenten beobachteten, wie Jim den Raum verließ und weinte. Während seines Filmstudiums lernte er auch Ray Manzarek kennen. Diese Freundschaft war von großer Bedeutung. Ray war vier Jahre älter als Jim und seine Familie war polnischer Abstammung. Er wuchs in Chicago auf und sein Vater war Mechaniker. Er war groß und blond und schlank. Eine ehrliche und offene Seele, ein guter Kumpel, ein großartiger Erzähler, intelligent und begeisterungsfähig. Im Gegensatz zu Jim war er bodenständig und stammte aus einer harmonischen Familie. Seine Filme fanden beim Lehrkörper mehr Anklang. Jim bewunderte ihn, weil er sich geweigert hatte, eine erotische Szene aus seinem Film herauszuschneiden. Ray war seit seinem achten Lebensjahr regelmäßig zum Klavierunterricht gegangen und hatte jeden Tag an dem Instrument geübt. Er beherrschte die Klassik ebenso wie den Jazz und den Blues. In seiner Jugend war er in die Blues-Clubs gegangen und hatte Bands wie Muddy Waters noch live erlebt. Während seines Filmstudiums hatte er mit seinen beiden Brüdern eine eigene Band gegründet. Sie hieß "Rick and the Ravens." Ray und Jim liebten die gleichen Filme. Sie schwärmten für Ingmar Bergmann und Kurosawa und trafen sich in einer seltenen, fast verbotenen Aufführung eines Films von Genet. Sie belegten ein Seminar bei Josef von Sternberg und schwärmten für Marlene Dietrich. Einmal fragte Ray Jim, ob er nicht bei ihm in der Band für einen Auftritt einspringen könne. Es waren sechs Mann engagiert worden und sie waren nur fünf. Jim nahm die Gitarre in die Hand und tat so, als würde er spielen. Dafür bekam er fünfundzwanzig Dollar. Jim freute sich über das leicht verdiente Geld. Im Jahre 1965, nachdem Jim sein Studium beendet hatte, erzählte er allen Leuten, er würde nach New York gehen. Das tat er aber nicht. Er blieb in Venice und wohnte dort auf dem Dach eines Warenhauses. Venice war ein wunderschöner, etwas heruntergekommener Ferienort bei Los Angeles. Es gab einen Strand mit Palmen, kleine Kanäle mit zierlichen Brücken, auf denen Enten schwammen, Trödelläden, billige Restaurants und Strandcafés. Es war der ideale Ort für Künstler, Hippies, Rentner, Studenten und verkrachte Existenzen. Jim war auf Jobsuche, aber die meiste Zeit rauchte er einen Joint nach dem anderen und schrieb ununterbrochen Verse in sein Notizbuch. Da war dieser Blick auf die unendliche Weite des Meeres, und aus ihm erhoben sich Sehnsüchte, Vorstellungen und Bilder, die hell aus dem tiefen Dunkel zum ersten Mal an die Oberfläche des Bewußtseins traten. Er hörte die Melodie der Worte und dann ein ganzes Orchester. Im Rauschen des Meeres hatten die Worte sich ihm in der Musik offenbart, eine Musik, die nur er hören konnte. Er benutzte die Worte, um sich die Melodie zu merken. So wurden die Bilder lebendig in der Musik. Er lebte auf dem Dach seiner Imagination und war im Kampf des Lebens nur mit einer Decke gegen die Kälte, einer Kerze und einem Bunsenbrenner bewaffnet. Sein Babyspeck verlor sich endgültig. Manchmal reichte das Geld für eine Mahlzeit bei Olivia´s. Hier entstand der wunderschöne Song "Soul Kitchen": Dieser Ort, wo man die ganze Nacht bleiben möchte, wo die Autos vollgestopft mit Augen vorbeifahren, wo die Gedanken am freundlichen Ofen gewärmt werden und die Finger schnelle Minarette sind, die in geheimen Alphabeten sprechen, dieser Ort, wo man lernt zu vergessen. "Wirf mich raus und ich irre umher, Baby, stolpere in den Neonwald." Diese Sprachgewalt des Jim Morrison bahnte sich einen Weg, indem er sich einfach nur treiben ließ. Die einfache Sehnsucht nach Geborgenheit brachte in diesem Song die schönsten Metaphern hervor. In den Radios am Strand hörte man die Beach Boys: "Fun fun fun" und "Surfin". Mit ihren Harmonien und dem großartigen Gesang waren sie die erste Band in den Staaten, die den Beatles Konkurrenz machte. Bob Dylan sang mit seiner Reibeisenstimme Folksongs mit anspruchsvollen Texten, eine Mischung aus Poesie und Pazifismus, die man Protestsong nannte. Die Rolling Stones gebärdeten sich wild mit "I Can't Get No Satisfaction". In diesen Geburtsstunden der Rockmusik fehlte ein wichtiges Element. Es fehlte die dunkle Seite des Mondes. Es fehlten die Doors. Jim schlenderte am Strand entlang, als er seinem Freund Ray Manzarek im funkelnden Abendsonnnenlicht begegnete. Ray war ebenso ratlos wie Jim, wie er in das harte Filmgeschäft einsteigen sollte. Er wohnte mit seiner japanischen Freundin in einem kleinen Apartment am Meer. Ray war total überrascht, seinen Freund hier in Venice zu finden und er war erstaunt, denn er erkannte seinen Freund kaum wieder. Jim Morrison hatte sich in eine absolute Schönheit mit sinnlicher Aura verwandelt. Ray fragte ihn, was er denn so mache und er erzählte ihm, daß er Songs schreibe. Ray überredete ihn mit langem bitten und betteln, ihm einen Song vorzusingen. Jim setzte sich in den Sand und ließ den Sand durch seine Finger rieseln, dann schloß er die Augen und sang "Moonlight Drive". Die Melodie schien direkt aus seinem Herzen zu kommen. Eine zarte und sehnsuchtsvolle Melodie, doch voller Dynamik, die sich langsam steigerte. Die Worte begannen zu schweben:" Laßt uns zum Mond schwimmen. Laßt uns die Gezeiten erklimmen, eindringen in den Abend, den die Stadt schlafend verbirgt. Laßt uns hinausschwimmen heute Nacht, Liebe, jetzt müssen wir es wagen. Halt machen am Ozean auf unserer Mondlichtfahrt." Jim machte eine Pause und für einen Augenblick stand die Welt ganz still. Jim sang weiter, Strophe um Strophe. Er sang noch "My Eyes Have Seen You" und "Summer`s Almost Gone" und sie trommelten mit den Händen auf ihre Schenkel und machten so den Rhythmus dazu. Am Ende stand Ray der Mund offen. Er war begeistert und hingerissen. Es ist wirklich ein großer Verdienst, daß Ray Manzarek das ganze Potential, das in Jim Morrison steckte, in diesem einzigartigen Augenblick erkannte und es ist ein Verdienst, daß er felsenfest an ihn glaubte. In ihrer jugendlichen Euphorie beschlossen sie, eine Rockband zu gründen und Millionen zu verdienen. Damals hätte wohl niemand gedacht, daß sich dieser Traum verwirklichen würde. Jim war der Meinung, daß seine Stimme für einen Sänger nicht ausreichen würde, doch Ray war da anderer Meinung. Er konnte die Töne gut halten und er hatte Rhythmusgefühl. Es fehlte nur die Übung. Jim wollte die Gruppe "The Doors" nennen. Ray fand diesen Vorschlag banal. Jim aber dachte dabei an "Die Pforten der Wahrnehmung" von Aldous Huxley, ein Buch über Meskalinexperimente, in denen der Autor über das Bewußtsein in einer anderen Welt schreibt. Eine Welt, in der es keine tote Materie gibt. Eine Welt, in der das Ego mit dem Objekt verschmilzt. Huxley hatte seinen Buchtitel einem Zitat des Dichterfürsten William Blake entlehnt:" Wären die Pforten der Wahrnehmung gereinigt, dann erschiene alles so, wie es wirklich ist: Unerschöpflich!" Es gab das Bekannte und es gab das Unbekannte. Dazwischen war die Tür. Jim wollte diese Tür sein, dieser Durchgang in eine neue Dimension. Nach dieser Erklärung fand Ray diesen Vorschlag nun gar nicht mehr banal. Als nächstes bestand Ray darauf, daß Jim bei ihm einzog. Seine Freundin war damit einverstanden. Als er seinen Freunden erzählte, daß er mit Jim eine neue Band gründen wollte, lachten sie ihn aus oder hielten ihn für verrückt. Von nun an gingen sie jeden Tag in den Übungsraum und probten ihre Stücke. Jim schrieb seinen Eltern einen Brief, daß er in einer Rockband singen würde. Der Vater schrieb ihm erbost zurück, daß er die Flausen in seinem Kopf endlich aufgeben solle. Dafür hätte er ihm nicht vier Jahre Studium finanziert. Er hätte ja seinen Klavierunterricht abgebrochen und hätte nicht einmal bei den Weihnachtsliedern mitgesungen. Mit knappen Worten forderte er ihn auf, nach Hause zurückzukehren. Dieser Brief war für Jim Grund genug, um für immer mit dem Elternhaus zu brechen. Sie sollten nie wieder etwas von ihm hören. Zu dieser Zeit hatte nur Rays Freundin einen Job. Einmal ließ Jim in einem Supermarkt drei Steaks in seinem großen Mantel verschwinden. Am Monatsende wurde der Hunger zu groß. Für ihre Fahrt ins Ungewisse fehlten Ray und Jim noch ein Schlagzeuger und ein Gitarrist. Ray hatte mit seinen Brüdern noch unter "Rick and the Ravens" eine Single herausgebracht, die sich aber nicht verkaufte. In einem Meditationskursus des Maharishi Mahesh Yogi lernte Ray den Schlagzeuger John Densmore kennen. John Densmore war der Sohn eines Architekten. Er spielte schon mit zwölf Jahren Schlagzeug und hatte eine Vorliebe für Jazz. In der High-School spielte er Pauke und am College Jazz-Schlagzeug. Er verehrte Dave Brubeck und John Coltrane. Er trieb sich schon in jungen Jahren in den Jazzkellern herum und orientierte sich dort an Art Blakely und Elvin Jones. John war schlank und dunkelhaarig, wirkte ein wenig kantig und verschlossen, war aber im Innern sehr sensibel und verletzlich. Jim Morrison war ihm ein wenig unheimlich, aber er faszinierte ihn auch. John Densmore beherrschte die lauten und die leisen Töne. Wenn er spielte, dann hatte er immer seine unsichtbaren Antennen ausgefahren. Am Schlagzeug war er kreativ, konnte gut improvisieren und er hatte einen Sinn für Dramatik. In dieser Besetzung nahmen sie ihre erste Demo-Platte auf und gingen damit zu den Plattenfirmen in Hollywood. Sie liefen sich die Füße wund, aber alle Schallplattenfirmen lehnten die Songs der Band ab. Rays Brüder stiegen aus der Band aus, dafür brachte aber John Densmore seinen Freund Robby Krieger in die Gruppe. Er wirkte ruhig, zart und sensibel mit seinem Lockenkopf. John und Robby hatten zusammen in der Gruppe "Psychedelik Rangers" gespielt. Er war der Sohn eines wohlhabenden Finanzberaters. Robby hatte einen wachen Verstand, Sinn für Humor und er spielte Gitarre wie ein junger Gott. Mit fünfzehn Jahren hatte er damit angefangen, entwickelte dann eine Vorliebe für Flamenco und spanische Gitarre, wechselte vom Folk zu Blues und Rock. Jim war fasziniert von seiner Bottleneck-Technik. Robby war mit seinen neunzehn Jahren der jüngste Musiker im Bunde. Er studierte Physik. Die vier wuchsen immer mehr zusammen und sie fachsimpelten und probten Tag für Tag und Woche für Woche. Manchmal spielten sie für ein paar Dollar auf kleinen Festen. Die Band hatte keinen Bassisten. Sie wollten nicht wie alle anderen Bands klingen, deshalb spielte Ray Manzarek mit seiner linken Hand auf dem Fender-Keyboard-Baß und mit der rechten Hand spielte er die Orgel. Dieser gleichmäßige Orgel-Baß führte den Zuhörer in einen Zustand der Trance. Endlich bekamen die Doors auch einen Plattenvertrag bei Columbia. Billy James begann sich für die Musik der Doors zu interessieren. Doch bald schon wurde die Gruppe ad acta gelegt und nichts geschah, alles verlief im Sande und der Vertrag wurde auf Drängen der Doors wieder gelöst. John und Jim entgingen dem Wehrdienst, indem sie bei der Musterung auf dem Fragebogen das Kästchen für homosexuelle Neigungen ankreuzten. Sie wollten auf keinen Fall nach Vietnam und sie wollten auf keinen Fall ihre Musik aufgeben. Immer wieder kam Jim mit seinen zerknitterten Zetteln und Servietten in den Übungsraum, auf die er seine Texte geschrieben hatte. Er sang seine Melodie dazu und die Gruppe mußte herausfinden, um welche Tonart und welchen Rhythmus es sich dabei handelte. Langsam wurde dann von der Gruppe das Arrangement erarbeitet. Eines Tages schlug Jim vor, daß alle Bandmitglieder einen Song schreiben sollten. Dabei sollten sie sich an den vier Elementen orientieren, Songs über Erde, Feuer, Luft und Wasser. Dabei hatte sich herausgestellt, daß Robby Krieger ein großes Talent besaß. Ihm war der Song "Light My Fire" eingefallen, ein wundervoller, eingängiger Song. Ray Manzarek entwickelte dazu ein beinahe barockes Orgel-Intro mit ungeheurer Dynamik, ein einziges Feuerwerk von Klängen. Jim machte den Vorschlag, man solle die Einnahmen gleichmäßig auf alle vier aufteilen, auch für das Schreiben der Songs. Das war ein kluges Angebot, um keine Rivalitäten in der Band aufkommen zu lassen. Im Frühjahr 1966 spielten die Doors ihre ersten Gigs im "London Fog", einem heruntergekommenen Schuppen auf dem Sunset Strip. Ganz in der Nähe lag das "Whiskey-a-Go-Go", wo die bekannten Bands wie z.B. die Byrds, Paul Butterfield Blues Band, Frank Zappa und die Animals auftraten. Sie spielten dort fünf Stunden jede Nacht und erhielten dafür fünf Dollar pro Nase aus der Tageskasse, wenn sie gefüllt war. Das Publikum bestand aus den letzten Streunern der Nacht: Betrunkene, Zuhälter, Geschäftsleute, Seeleute, Touristen, Nutten und Hippies. Am Anfang füllten sie den Laden mit ihren Freunden. Auf der Bühne war Jim noch schüchtern und gehemmt. Er sang mit dem Rücken zum Publikum, umklammerte das Mikrophon und betrachtete es, als wäre es ein außerirdischer Gegenstand. Da ihr Repertoire immer noch nicht ganz ausreichte, begannen sie ihre Stücke immer mehr auszudehnen und flochten lange, freie Improvisationen und Soli in ihre Songs ein. Langsam lernte Jim, sich auf der Bühne frei zu bewegen und seine erotische Ausstrahlung gezielt einzusetzen. Die Mädchen wurden auf ihn aufmerksam und begannen für ihn zu schwärmen. Der Song "The End" wurde zum Epos. Den Zuhörern lief ein Schauer über den Rücken, wenn er am Ende sang: "Das ist das Ende, schöne Freundin. Das ist das Ende des Lachens und sanfter Lügen. Das ist das Ende, mein einziger Freund, das Ende unserer wohldurchdachten Pläne, das Ende von allem, was besteht, keine Sicherheit oder Überraschung, das Ende, ich werde nie mehr in deine Augen sehn. Das ist das Ende". Der Schlagzeuger John Densmore schien jede Bewegung des Sängers vorauszuahnen und kommentierte die Gesten und Worte mit seinem Schlagzeug. Die Luft war spannungsgeladen und die Gruppe wuchs in diesen magischen Momenten immer mehr zusammen. Das Publikum schien davon nicht viel zu merken. Es blieb einfach aus. Manchmal spielten sie nur vor vier Leuten in dem kleinen Laden und das Go-Go-Girl tanzte in ihrem Käfig dazu. Zu dieser Zeit lernte Jim Morrison seine kosmische Lebensgefährtin Pamela Courson kennen. Pamela hatte Kunst studiert. Sie saß dort unten mit ihrer Freundin im Publikum und John Densmore hatte in den Pausen mit ihr geflirtet, aber sie hatte nur Augen für Jim. Er bemerkte diese Blicke und ließ seinen ganzen Charme spielen, um sie für sich zu gewinnen. Sie war eine zerbrechlich wirkende Schönheit mit großen Augen, blasser Haut und langen, roten Haaren. John Densmore kam über den Verlust hinweg. Die Liebe zwischen Pamela und Jim sollte ein ganzes Leben halten, trotz aller Eskapaden und Turbulenzen. Sie hielten zusammen, was immer auch geschah. Pamela glaubte aus tiefstem Herzen an den Dichter Jim Morrison, den wir eigentlich erst heute entdecken. In ihren Augen war die Rolle des Rockstars dem Poeten eher hinderlich. Der Besitzer des London Fog hieß zum Vergnügen aller Jesse James. Er eröffnete den Doors, daß sie gefeuert seien. Die Geschäfte gingen einfach zu schlecht. Jetzt hatten sie vier Monate für einen Hungerlohn vor einem kleinen Publikum gespielt, und nun standen sie wieder vor dem Nichts. Ray Manzarek spürte, wie die nackte Angst um seinen Nacken kroch. Über ihm eine Wolke der Depression. Robby und John waren niedergeschlagen. Jim zuckte mit den Schultern. Aber genau an diesem Tiefpunkt ihrer Karriere wendete sich das Blatt. Noch am selben Abend kam Ronnie Harran, die Talentsucherin des "Whiskey a Go-Go" durch die Tür. Sie bot ihnen dort einen Job als Hausband für fünfhundert Dollar die Woche an. Sie war auf die Band aufmerksam gemacht worden. Als sie die Doors dann live erlebte, war sie einfach hingerissen, ganz besonders von Jim Morrison. Jim sagte ihr, sie würden sich die Sache überlegen. Als sie gegangen war, hätten die anderen ihn am liebsten verprügelt. Sie fragten ihn: "Was heißt hier überlegen?" Jim grinste: "Wollt ihr denn den Anschein geben, daß wir leicht zu haben sind?" Sie knufften ihn und brachen dann in schallendes Gelächter aus. Gleich bei ihrem ersten Auftritt im "Whiskey" waren sie die Vorgruppe von Van Morrison. Am Ende der Woche gab es eine gigantische Jam-Session mit den beiden Morrisons, die zwar den gleichen Namen trugen, aber nicht miteinander verwandt waren. Geistesverwandte waren sie schon. Beide hatten sie diese Vorliebe für den Blues und den Alkohol und beide waren sie große Sänger. Sie sangen "Gloria" und Songs von John Lee Hooker. Beide waren an diesem Abend wie weggetreten, vollkommen eingetaucht in ihre Musik. Die Post ging ab und das Publikum war begeistert. Die Doors erlebten ihre eigene Musik wie eine einzige, große Bewußtseinsveränderung. Die Musik der Doors hatte Power und das sprach sich herum. Jim Morrison wirkte wie ein Magnet. Auf einmal hatten sie den Erfolg, von dem sie immer geträumt hatten. Jim wurde von Groupies umzingelt, allen voran Suzy Creamcheese, und Jim wollte sie nicht enttäuschen. Pamela blieb zwar die Nummer eins, bildete aber nur die Spitze einer Pyramide. Die beglückten Mädchen kehrten immer wieder zu Jim zurück. Die Doors boten ihren Fans Leidenschaft und Ekstase. Musikalisch drangen sie in neue Bereiche ein. Sie wurden zum Symbol der Freiheit und traten damit gegen die Welt der Normen und Zwänge an. In ihren Texten wollten sie die Verletzungen der Erde heilen und den Weg zurück finden, auf die andere Seite, zurück ins Paradies. Alles lief wunderbar, bis Jim es eines Tages auf die Spitze trieb, als er in "The End" auf einmal diese Zeilen sang, die er noch nie zuvor gesungen hatte. Das war nichts Neues, daß er mitten auf der Bühne einen neuen Text erfand, das hatte er schon oft getan, und wie immer stellte die Band sich darauf ein. Jim hatte das Publikum in Trance versetzt, so intensiv, daß die Tänzerinnen in ihren Käfigen nicht mehr tanzten und niemand mehr Getränke servierte. Alle erstarrten vor Spannung, nur das Dröhnen der Bässe und die Schlagzeugbecken waren zu hören, als er sang: "Verloren in einer römischen Wildnis der Schmerzen... und alle Kinder sind verrückt; warten auf den Sommerregen... Yeah...Da lauert Gefahr am Rande der Stadt. Fahre auf des Königs Highway, Baby...Unheimliche Szenen in der Goldmine. Fahre auf dem Highway west, Baby...Reite auf der Schlange. Reite die Schlange zum See, dem uralten See. Die Schlange ist lang, sieben Meilen. Sie ist alt und ihre Haut ist kalt. Der Westen ist am besten. Kommt her und wir machen den Rest. Der blaue Bus ruft uns. Fahrer wohin bringst du uns?" Eine lange Pause entstand. Der ganze Song war wie ein klassischer, indischer Raga aufgebaut, war über dreizehn Minuten lang und die Gitarre klang wie eine Sitar. Und gleichzeitig war es ein griechisches Drama. Das Publikum bewegte sich immer noch wie in Trance in einem langsamen Tanz. Dann erhob Jim wieder die Stimme und sang:"Der Mörder erwachte vor der Morgendämmerung, er zog seine Stiefel an." John und Ray und Robby waren erstaunt und sie waren gespannt, wie es weitergeht. " Er nahm eine Maske von der Ahnengalerie und er schritt durch die Halle. Er ging in einen Raum, in dem seine Schwester lebte, dann besuchte er seinen Bruder und dann...ging er weiter durch die Halle." Ray fragte sich, wie er diese schaurig schöne Variante wohl zu Ende bringen würde. Würde er sie alle in einem Labyrinth zurücklassen? "Und er kam zu einer Tür und er sah hinein: Vater? Ja, Sohn? Ich will dich töten!" Ray fiel beinahe in Ohnmacht, als er den Sinn der ganzen Geschichte in diesem Moment erkannte: Das war der Ödipuskomplex! Jetzt kam, was kommen mußte: "Mutter, Ich will dich ficken... yeahh! Die ganze Nacht, Mama!" Die Drums explodierten, die Gitarre begann zu kreischen, alles heulte und brüllte und kreischte, Klänge von Chaos und Irrsinn. Jim tanzte wie wild im Kreis. Immer wieder sang er "Fuck. Kill. Fuck. Kill." Und es klang wie ein Mantra und wie das Glucksen des Wassers in einer Regenrinne. Am Ende legte sich der Sänger auf die Bühne, als läge er im Sterben. Sanfte Mädchenhände aus dem Publikum begannen ihn zu streicheln, damit er wieder aufstand. Das Lied klang leise und zärtlich aus, als er sang: "Das ist das Ende, schöne Freundin. Es schmerzt, dich frei zu geben. Aber du wirst mir niemals folgen. Das Ende des Lachens und sanfter Lügen. Das Ende der Nächte, als wir versuchten zu sterben. Das ist das Ende". Jim Morrison war ein Meister der Reduktion. Er hatte König Oedipus mit Urbildern geschmückt und auf den einfachsten Nenner gebracht. Das Publikum applaudierte frenetisch, aber der Manager des "Whiskey" gebärdete sich wilder als damals die Gegner Sigmund Freuds. Seine Ausdrücke waren beinahe obszöner, als das, was vorher auf der Bühne gesungen wurde. Innerhalb von fünf Minuten waren die Doors gefeuert. Das war wieder einmal das Ende vom Ende. Aber am Ende hatten die Doors immer einen Schutzengel gehabt. So waren sie denn auch nicht allzu traurig, denn drei Tage zuvor hatten sie bei Jac Holzman von der Plattenfirma Elektra Records einen Vertrag unterschrieben. Sie sollten drei Alben aufnehmen und man hatte ihnen künstlerische Freiheit angeboten. Dieser Punkt war für die Doors sehr wichtig. Voller Vorfreude gingen sie ins Studio. Der Autor Rainer Moddemann hat in seinem Buch "The Doors" die Entdeckung gemacht, daß es den berühmten blauen Bus, den Jim Morrison immer wieder besang, wirklich gegeben hat. Es war der Bus, der ihn jeden Tag zur Universität gefahren hat. Der Linienweg des Busses war genau sieben Meilen lang. In dem Buch ist eine Fotografie des dreieckigen Schildes zu sehen, darauf kann man lesen: "Big Blue Bus". Dieser Bus wird zum Totenschiff. Der Autor schreibt, mit der römischen Wildnis wird wohl Venice gemeint sein und der See entspräche dann dem Pazifischen Ozean. Jim Morrison selbst sah in dem Lied "The End" einen Abschied an die Kindheit. Im Sunset Sound Studio lernten die Doors den Produzenten Paul A. Rothchild und den Tontechniker Bruce Botnick kennen. Die beiden wurden sozusagen die neuen, unsichtbaren Mitglieder der Gruppe. Sie verstanden sich gut und die Zusammenarbeit war eng und intensiv, denn Paul Rothchild war ein unglaublicher Perfektionist. Als erstes spielten sie "Light My Fire" und bauten ein großartiges, langes Gitarrensolo ein. Während Robby Krieger spielte, hüpfte Jim aus seiner Gesangskabine, tanzte wie ein Schamane und schwenkte die Rassel. Mit einem herrlichen Jahrmarktssound nahmen sie den "Alabama Song" auf. An einem einzigen Tag war "The End" auf dem Tape. Auf diesem ersten Album waren auch das wunderbar melodische und melancholische "Crystal Ship" und "Take IT As It Comes", das Jim dem Maharishi gewidmet hatte. "Break On Through" sollte als Single ausgekoppelt werden. In nur zwei Wochen war das Album fertig. Allerdings gab es bei den Aufnahmen einen kleinen Zwischenfall. Jim Morrison hatte eines Abends nach den Proben im Studio ein Feuer gelöscht, das nie ausgebrochen war. Vielleicht hatte er immer noch den Song "Light My Fire" und zu viele Drogen im Kopf, als er das rote Notlicht im Studio wie ein Feuer auflodern sah. Voller Eifer nahm er den Feuerlöscher in die Hand, um das Werk der Doors zu retten. Paul Rothchild ließ den Wasserschaden beseitigen, ohne ein Wort darüber zu verlieren, denn Jim hatte gute Arbeit geleistet. Jim strotzte vor Energie. Er änderte die Reklametexte der Firma und ersetzte die banalen, faktischen Aussagen durch längere Texte mit bildhaften Schlagworten, die das Image der Band umrissen. In einem Satz erklärte er, er fühle sich wie eine Bogensehne, vor zweiundzwanzig Jahren gespannt und plötzlich losgelassen. Als die Studioaufnahmen beendet waren, spielten die Doors im "Ondine" in New York. Es war ein Club, der absolut angesagt war. Am Anfang spielten sie "Backdoor Man" von Willi Dixon, diesen herrlichen, erdigen Blues. Die anderen Songs klangen in den Ohren der New Yorker ungewohnt psychedelisch, aber sie waren begeistert davon. Andy Warhol war Stammgast im "Ondine" und er bewunderte Jim Morrison. Jim wollte diesen großen Künstler kennenlernen und besuchte ihn in der Factory. Dort lernte Jim das deutsche Model Nico kennen. Andy Warhol hatte sie in seine Gruppe "Velvet Underground" gebracht. Sie war sehr blond und sehr schön, hatte eine tiefe Stimme mit deutschem Akzent und wirkte so unnahbar wie Marlene Dietrich. Jim verliebte sich in sie und für diese kurze Zeit in New York hatten sie ein Verhältnis. Später hatte Nico ihren Freunden erzählt, Jim Morrison wäre der einzige Mensch gewesen, der sie jemals verstanden hätte. Er hatte ihr geraten, eigene Songs zu schreiben. Sie folgte seinem Rat. Man erzählt sich, daß Nico immer ein Bild von Jim Morrsion mit sich herumtrug. Oft stellte sie es auf einen Tisch, zündete eine Kerze davor an und dann betete sie zu ihm. Das war zu einer Zeit, als Jim noch lebte! Diese Beziehung der beiden muß wohl zarter und intensiver gewesen sein, als sie später in der Presse dargestellt wurde. Nico war nicht die einzige, die den Hang hatte, Jim Morisson zu vergöttern, einige Fans taten es auch. Jim hatte sich Zeit seines Lebens dagegen gewehrt. Später hatte er einen Streit mit Robby Krieger, da ging es um eine Textzeile in dem Song "Tell All The People", die Jim nicht singen wollte. Es war der Satz: "Folge mir nach." Jim hatte auch gesagt: "Wir können einen Mord planen oder eine neue Religion gründen." Beides lief wohl auf das gleiche hinaus. Im Januar 1967 kam das Album heraus. Es hieß einfach "The Doors". Zum ersten Mal wurde auf den riesigen Plakaten am Sunset Srip für eine Rockband Werbung gemacht. "Break On Through" wurde kein Hit, aber dafür riefen ständig Diskjockeys bei der Plattenfirma an, weil immer mehr Fans "Light My Fire" im Radio hören wollten. Mit seinen sieben Minuten war der Song zu lang für eine Single. Also wurden die schönen langen Soli aus dem Stück herausgeschnitten. Ray und Robby bekamen beinahe einen Weinkrampf. Innerhalb kürzester Zeit war "Light My Fire" die Nummer eins in der Hitparade. Sie verkauften mehr Platten als die Beatles und die Rolling Stones. Die kleine Firma Elektra Records war überrannt worden. Jac Holzman mußte Verträge mit neuen Preßwerken abschließen, um die Ladenketten im Mittelwesten und im Süden bedienen zu können. Die Doors wurden die Nummer eins in Amerika. Jim war ein gefundenes Fressen für die Fotografen. Gloria Stavers machte mit ihm Aufnahmen für ein Teenager-Magazin. Diese Aufnahmen machten Jim zur Pop-Ikone. Jim reagierte auf die Linse der Kamera wie einst Marylin Monroe. Er ging auf Glorias Forderungen ein, behängte sich mit Ketten, ließ sich mit nacktem Oberkörper und in Pelzjacken ablichten. Die langen, dunklen Locken umrahmten das schöne Gesicht mit den hohen Wangenknochen. Die großen, tief dunklen Augen wirkten hypnotisch und der volle Mund sinnlich. Einige der schönsten Aufnahmen aus dieser Zeit stammen von Joel Brodsky. Jim wollte aussehen wie Alexander der Große. Er hielt immer den Kopf leicht zur Seite geneigt, so wie Plutarch den großen Eroberer beschrieben hatte. Beim Friseur brachte er doch tatsächlich sein Geschichtsbuch mit. Jim wusch seine Haare oft, aber er kämmte sie nie. Er wollte, daß sie aussehen wie Vogelschwingen. Später schämte sich Jim für diese Aufnahmen und wünschte, sie nie gemacht zu haben. Er war auch nicht damit einverstanden, daß seine Person auf dem Coverfoto so herausgestellt wurde, aber seine Schönheit verkaufte sich gut. Man wollte aus ihm den jungen Löwen machen, aber er hielt sich für den König der Eidechsen. Später setzte Jim sich durch und die Gestaltung der Cover sollte sich grundlegend ändern. Die allerersten Aufnahmen der Gruppe stammen von Paul Ferrara. Linda McCartney (die Frau von Paul McCartney) machte stimmungsvolle Fotografien von ihm. Sie hielt ihn damals für einen unbekannten Sänger mit faszinierenden Ideen. Damals wußte sie nicht, daß sie ein künftiges Rockidol fotografierte. Sie teilte mit Jim ihre Liebe zur Kunst. Er sagte ihr, er wüßte nicht, ob er sich von ihr fotografieren lassen solle, weil sie den wahren Charakter ihrer Figuren enthülle. Jims Markenzeichen war die enge Lederhose mit dem Conchogürtel. Seine Bewegungen waren wie die Bewegungen einer Schlange, weich, grazil und anmutig. Es gibt unzählige, berühmte Fotografen, die faszinierende Aufnahmen von Jim Morrison machten. Es sind ganze Bildbände entstanden. Viele seltene und schöne Aufnahmen stammen von Frank Lisciandro. Inzwischen hatten sich Jim und Pamela eine idyllische kleine Wohnung mit Holzverkleidung am Laurel Canyon gemietet. Jim lebte aber auch oft im Alta Cienega Motel am Santa Monica Boulevard. Dieser kleine Raum über der Toreinfahrt mit der Nummer 32 sollte über alle Jahre hinweg seine Zuflucht bleiben. Jim schrieb einen Song über Pamela und das Haus am Laurel Canyon. Er hieß Love Street. In diesem Lied steckt eine düstere Ahnung zwischen den Zeilen. Zwei Häuser weiter wohnte ein ehemaliger Diskjockey, der Pamela ab und zu heimlich mit Heroin versorgte. Sie tat alles, um diese Tatsache vor Jim geheim zu halten. Jim haßte harte Drogen und er haßte alles, was damit zusammenhing. In einem Interview erzählte er einmal, diese Art der Beschaffungskriminalität erschiene ihm einfach nur entwürdigend. Obwohl es Pamela lange Zeit gelang, ihre Heroinsucht vor Jim zu verbergen, mußte er (vielleicht, ohne daß es ihm bewußt war) schon etwas geahnt haben, wenn man dieses Lied mit der heiteren Melodie genauer betrachtet: " Sie lebt in der Straße der Liebe. Verweilt lange in der Straße der Liebe. Sie hat ein Haus und Garten. Möchte wissen, was geschieht. Sie hat Roben und sie hat Affen. Sie hat Weisheit und weiß, was zu tun ist. Sie hat mich und sie hat dich. Ich sehe, du lebst in der Straße der Liebe. Da ist ein Laden, wo sich die Kreaturen treffen. Wundere mich, was die da drinnen machen. Sommer Sonntag und ein Jahr. Ich denke, Ich finde es schön...so weit." Die Kreaturen waren die Dealer, die Jim vom Fenster aus vor dem kleinen Kramladen gegenüber beobachten konnte. Jim widmete seine Liebeslieder immer seiner Pamela und all diese Lieder durchzieht eine leichte Wehmut. John Densmore und Robby Krieger mieteten sich zusammen eine Wohnung. John hatte noch immer bei seinen Eltern gelebt und war nun froh, endlich ihren Vorwürfen entronnen zu sein. Sie waren gar nicht damit einverstanden, daß ihr Sohn nichts anderes als Musik machte. Von nun an mußten die Mitglieder der Band nicht mehr jeden Pfennig umdrehen, denn von nun ab spielten sie vor größerem Publikum. Jetzt waren sie nicht mehr die Anheizer für die großen Bands, sondern die Hauptattraktion. Für einen Auftritt bekamen sie jetzt tausend Dollar. Sie spielten im Fillmore Auditorium in San Francisco, rechtzeitig zum Human Be-In. Die Doors wurden dort zum Ereignis. Die Band sprach sich wie im Lauffeuer herum. Darauf spielten sie im Avalon Ballroom, dort trafen sich die Leute, die etwas von Musik verstanden. Sie spielten noch einmal im "Ondine" und dann wieder zu Hause in weiteren Clubs. Jim sang bei jedem Konzert, als wäre es sein letzter Auftritt. Einmal fiel er ins Schlagzeug und verletzte sich den Rücken. Jeder im Publikum glaubte, dieser Akt gehöre zur Show. Bald darauf erschienen die ersten beiden Kritiken in der Los Angeles Times. Die erste Kritik war sehr ermunternd, in der zweiten beschrieb John Mendelsohn Jim als überaffektiert, finster und fade. Er schrieb," The End" sei eine Untersuchung dessen, wie langweilig es wirken kann, wenn er teils bemerkenswert einfache, teils überlaborierte psychedelische Inkonsequenzen und Irrtümer rezitiert. Fast ein Jahr später traf Jim den Kritiker im Fahrstuhl. Als die Türen zugingen und der Kritiker nicht mehr entkommen konnte, lächelte Jim und sagte: "Teils bemerkenswert einfache, teils überlaborierte psychedelische Inkonsequenzen und Irrtümer - hä?" Jim behielt immer seinen Sinn für Humor, auch bei schlechten Kritiken. Nur manchmal schlug er wirklich zurück, z.B. wenn man ihn einen schwarzledernen Dämon und einen Mickey-Mouse-de Sade nannte. Dann konnte er grausam sein und benutzte eine subtile Form des Psychoterrors. Einmal stellte er eine Journalistin so lange bloß, bis sie beinahe zu weinen begann. In Jims Charakter steckte auch immer der Stachel eines Skorpions. Vielleicht brauchte er ihn, um seine sensible Seele zu schützen. In seiner Freizeit saß Jim bei Pamela in seinem roten Lehnstuhl und las Bücher oder er trieb sich irgendwo herum. Manchmal blieb er auch für einige Tage in seinem Motel. In den Nächten zog er durch die Bars, spielte mit unbekannten Bands auf der Bühne, feierte mit alten Freunden und das endete immer in großen Besäufnissen. Wenn er zu viel geladen hatte, dann spielte er auf dem Highway Torero. Seine Jacke wurde zum roten Tuch und die Autos waren die Stiere. In der Morgendämmerung schrieb er dann ein Gedicht oder einen Song. Die Doors besorgten sich einen Manager. Sie brauchten jetzt eine schützende Mauer zwischen sich und den Veranstaltern. Sie brauchten jemanden für den Tagesablauf und die Presse, und vor allem brauchten sie jemanden für das verdammte Telefon. Und nicht zuletzt brauchten sie einen Babysitter für Jim Morrison, jemand, der ihn rechtzeitig vor den Auftritten aus den Kneipen zog. Robbys Vater hatte ihnen einen guten Rechtsanwalt besorgt. Im Sommer 1967 war das Team der Doors so gut wie komplett. Es fehlte nur noch einer. Das war Danny Sugerman. Er sollte später eine Aufgabe übernehmen, mit der damals noch keiner gerechnet hatte. Er sollte dafür sorgen, daß der Name der Doors auch dreißig Jahre nach Jim Morrisons Tod noch in aller Munde war. Damals war er beinahe noch ein kleiner Junge, gerade vierzehn Jahre alt. Soeben flügge geworden, lungerte er ständig vor dem Büro der Doors herum. Er war schon ganz am Anfang ein glühender Fan der Gruppe. Jim schenkte ihm ein Autogramm und erlaubte ihm, das Büro zu betreten, nachdem Danny ihm erzählt hatte, daß sein Stiefvater ihn von morgens bis abends tyrannisierte. Das Büro der Doors war für Danny eine Zuflucht ins Paradies. Jim lieh ihm manchmal seine mit Fell gefütterte Jacke, damit er in der Schule damit angeben konnte. Wenn er Jim und Pamela in ihrem Haus besuchte, bettelte er Jim ständig an, er möge doch einmal mit ihm durch die Kneipen ziehen. Jim ermunterte ihn, sich doch einmal die Bücher im Regal anzusehen. Er forderte ihn wohlmeinend auf, sie zu lesen, dann würde er ihm später einmal dafür dankbar sein. Außerdem sollte er seine Schularbeiten machen, und dann würde er vielleicht auch einmal mit ihm durch die Kneipen ziehen. Dannys Idol wurde beinahe zum Vaterersatz. Im Büro gab es viel zu tun und manchmal wurde Danny so lästig wie eine Fliege. Jim löste das Problem, indem er ihm einen Job anbot. Er sollte die Fanpost beantworten und die Zeitungsartikel mit den Kritiken sammeln und archivieren. Danny war überglücklich. Jetzt durfte er bei der Gruppe sein und alles miterleben. Jetzt durfte er das tun, was ihm am meisten Spaß machte und bekam auch noch Geld dafür. Außerdem konnte er sich an einem sicheren Ort den Übergriffen des Stiefvaters für ein paar Stunden entziehen. Jim versuchte auch einmal mit dem Mann zu reden, hatte aber nicht viel Erfolg, sondern handelte sich dabei nur Ärger ein. Dennoch bot Jim ihm einen gewissen Schutz. Es war nicht ungefährlich, denn man konnte das dumme Gerücht in der Presse verbreiten, Jim ließe sich mit kleinen Jungen ein. Damit hatte der Mann tatsächlich gedroht, denn Danny war noch nicht volljährig. Das war natürlich hirnverbrannter Blödsinn und Jim ließ sich nicht einschüchtern. Jim mochte den Charakter und den Witz des Jungen und er tat ihm einfach leid. Jim gehorchte Zeit seines Lebens immer nur dem Diktat seines Herzens. Später konnte sich Danny für alles revanchieren. Nach Jims Tod schrieb er mit dem Journalisten Jerry Hopkins die erste Biographie über Jim Morrison. Dank seiner Hartnäckigkeit brachte er dieses Buch trotz vieler Absagen und entgegen aller Erwartungen an den Mann. Das Buch wurde zum Bestseller! Für Danny war Jim ein Gott unter Göttern, zumindest aber ein Heiliger. Nach Jims Tod wurde Danny der Manager der Doors. In New York waren die Doors auch in der Ed Sullivan Show im Fernsehen aufgetreten. Ed Sullivan verlangte von ihnen ein breites Lächeln. Der Produzent verlangte, daß sie das Wort "higher" in " Light My Fire" nicht singen. Der Gruppe kam es wieder einmal so vor, als seien sie in einem Stück von Ionesco. Ed Sullivan hatte selbst noch nie gelächelt. Ray nannte ihn Mr. Eisenfresser. "Light My Fire" war ein leidenschaftlicher Song und kein heiterer. Und wieder einmal war ein kleines Wort gefährlich, weil man entweder von Drogen oder von der Liebe high werden konnte. Bei "Girl, we could`nt get much higher," war wohl eher die Liebe gemeint. Diese "high" in dem Song war die oberste Grenze eines Gefühls, die man erreichen mußte, bevor die Liebe zum Scheiterhaufen wird. Ray Manzarek versprach den Text zu ändern, hatten dabei aber vorsätzlich gelogen. Die Gruppe konnte dieses Wort nicht durch ein anderes ersetzten, mit dem Vorsatz, daß es sich reimt. Es hätte den Sinn entstellt und die Poesie des Songs zerstört. Die Doors wollten den Puritanern keinen Gefallen tun, so wie es die anderen Gruppen getan hatten. Sogar die Stones hatten für Ed Sullivan ihre Texte geändert. Das einzige Problem war nur, daß es am Mischpult eine Zensurtaste gab. Ein kleines Peep hätte den ganzen Song zerstört. Aber sie erinnerten sich daran, wer am Mischpult stand: Es waren Paul Rothchild und Bruce Botnick. Also sangen sie den Song wie immer. Es wurde eine schöne Aufnahme. Die Gruppe sang vor einem leuchtenden, roten Hintergrund. Hinterher wollte der Produzent nicht aufhören, zu jammern und sich zu beschweren. Eigentlich hätte Ed Sullivan die Musik gefallen und er hätte sie für die nächsten sechs weiteren Shows vorgesehen. Er fragte Ray, ob er denn wisse, was das für ihre Karriere bedeutet hätte? Er mußte schlucken, aber Jim sagte nur: "Hey Mann! Na und? In der Ed Sullivan Show sind wir jetzt gerade gewesen!" Die Doors nahmen ihre zweite LP "Strange Days" auf. Darauf verwendeten sie noch viel Material aus den Anfangstagen, wie z.B. Jims ersten Song "Moonlight Drive" und "Horse Latitudes". Bruce Bottnick hatte eine Überraschung für die Band: Ein neues Aufnahmegerät mit acht Spuren, außerdem brachte er Paul Beaver mit einem der ersten Moog-Synthesizer der Rockgeschichte mit. Jim hielt diese Klänge für die reinste Kabbala. Er wünschte sich von Paul das Geräusch von zersplitterndem Glas, das aus dem Nichts in die Schöpfung fällt. Leider konnte Paul einen Klang nicht noch einmal produzieren. Dem Gerät entsprangen immer neue Töne, die Möglichkeiten waren endlos. Auf der Platte wurde viel experimentiert. "When The Music´s Over" war ein ebenso episches Stück wie "The End": "Wenn die Musik vorbei ist, dreht die Lichter aus. Die Musik ist dein einziger Freund, bis zum Ende. Was haben sie der Erde angetan, unserer guten Schwester? Verwüsteten und plünderten und zerschlitzten sie, bissen sie und stachen mit Messern in die Seite der Dämmerung und schnürten sie mit Zäunen ein und traten sie nieder. Ich höre einen lieblichen Klang mit deinen Ohren unten auf dem Boden. Wir wollen die Welt und wir wollen sie jetzt! ... Bevor ich im großen Schlaf versinke, möchte ich noch einmal den Schrei des Schmetterlings hören. Die Musik ist dein einziger Freund, bis zum Ende. Wenn die Musik vorbei ist, dreht die Lichter aus. Persische Nacht, Baby. Sieh das Licht, Baby. Rette uns Jesus! Rette uns!" Diese Stück war auch sehr lang und Jim Morrison stellte die Strophen dieses Liedes auf der Bühne auch immer wieder neu zusammen. Die Idee vom Schrei des Schmetterlings war ihm während einer Autofahrt nachts durch New York gekommen. Im Vorbeifahren sah er die rosa Neonreklame eines Pornokinos mit der Ankündigung zu dem Film "Der Schrei des Schmetterlings". Sofort hatte er sein Notizbuch zur Hand. Um zwei Uhr mittags sollten die Aufnahmen im Studio zu diesem Stück beginnen. Jim erschien auch pünktlich um zwei Uhr, nur leider einen Tag zu spät. Die Musiker hatten Stunde um Stunde gewartet und wer nicht kam, war Jim Morrison. Sie nahmen also den Part alleine auf und Jim mußte mit seiner Stimme allein durch den Dschungel finden. Den Song "People Are Strange" hatte Jim geschrieben, als er Robby und John besucht hatte, weil er sich so traurig und deprimiert fühlte. Robby ging mit ihm spazieren und sie gingen an einen Ort mit einer wunderschönen Aussicht. Strahlend kam Jim zurück, weil ihm da dieser Song und dieser Text eingefallen war: " Leute sind seltsam, bist du ein Fremder. Gesichter sind häßlich, bist du allein. Frauen wirken boshaft, wenn du unerwünscht bist. Straßen sind uneben, wenn du niedergeschlagen bist. Wenn du fremd bist, kommen Gesichter aus dem Regen. Wenn du fremd bist, erinnert sich niemand an deinen Namen." Dieser Song wirkte so persönlich und so ehrlich und er hatte dazu auch eine passende Melodie, daß er als Single ausgekoppelt wurde. Mitten in den Aufnahmen zu diesem zweiten Album erhielt die Gruppe ihren ersten Tantiemenscheck. Ray blickte auf das kleine Papier und jubelte innerlich. Da stand die Summe von fünfzigtausend Dollar. Wenn er durch vier teilte, dann blieben für jeden über zwölftausend Dollar. Er grinste und bat um seinen Scheck. Bob Greene vom Elektra Büro grinste zurück und sagte: "Das ist Dein Scheck, Ray, sieh noch einmal genauer hin. Die anderen haben schon ihren Scheck über die gleiche Summe." Da stand tatsächlich sein Name. Ray fielen beinahe die Augen aus dem Kopf. Bob setzte noch eins drauf, indem er ihm erzählte, daß er in fünf Monaten den nächsten Scheck erhalte und da stünde dann noch eine größere Summe drauf. Ray ging wie im Taumel nach Hause. Jetzt konnte er endlich seine japanische Freundin Dorothy heiraten. Jetzt reichte es für eine Familie und ein gemütliches Heim und er konnte ihr sogar einen gewissen Luxus bieten. Als er nach Hause kam, fiel er gleich mit der Tür ins Haus, als Dorothy ihm öffnete. Er sagte nur: "Sieh nur diesen Scheck. Dorothy, willst du mich heiraten?" Natürlich wollte sie das. Ray dachte daran, wie klug es von Jim gewesen war, den ganzen Kuchen durch vier zu teilen. In der Band gab es niemals Streit, welcher Song aufgenommen werden sollte und es gab niemals Streit um Geld. Die Plattenaufnahmen im Studio gingen weiter und sie nahmen noch "Unhappy Girl" auf, indem sie den ganzen Song rückwärts spielten. "You`re Lost Little Girl" war ein schönes und trauriges Liebeslied. Frank Sinatra hätte es singen können. Paul Rothchild wollte für diese Aufnahme eine gelöste Stimme. Aber wie konnte man Jim so schnell in einen meditativen Zustand bringen? Die Band hatte eine Idee und feixte. Pamela war im Studio und sie sollte ein wenig zärtlich zu ihrem Jim sein. Die Lichter im Studio wurden gelöscht und nach zwanzig Minuten meldete sich Jim aus der Gesangskabine. Seine Stimme strahlte dann bei der Aufnahme einen großen Frieden aus, so wie Rothchild sie haben wollte. Als diese experimentierfreudige Arbeit an der Platte ihr Ende nahm, setzte sich Jim für die Gestaltung des Covers ein. Die Gruppe einigte sich auf eine Jahrmarktszene mit Akrobaten, Muskelprotzen Zwergen und Jongleuren. Im Hintergrund war der Schriftzug der Band zu lesen. Ein zerrissenes Plakat vom ersten Cover. Nun mußte die Band ihre neue Platte promoten und machten ihre erste Tournee. Es ging nach Iowa, Denver Colorado, New York, Tulsa Oklahoma, Danbury Connecticut, Nantucket Beach Massachusetts, Baltimore, Maryland, Selinsgrove Pennsylvania, Berkeley Kalifornien und so weiter und so weiter. Die große Geldmaschine hatte Öl im Getriebe. Im Oktober 1967 wurde "Strange Days" auf den Markt gebracht und am 30. Oktober gab Elektra bekannt, daß das erste Album "The Doors" über eine Million Dollar im Umsatz erreicht hatte. Die Single "Light My Fire war über eine Million Mal über den Ladentisch gegangen. Die Doors bekamen ihre ersten goldenen Schallplatten für ihre allerersten Platten. Dieses Ereignis wurde von den Doors gebührend gefeiert. Als Jac Holzman nicht zu dieser Party erschien, randalierte Jim vor seiner Tür. Er war wieder einmal vollkommen betrunken gewesen. Jim gab jetzt immer längere Interviews. Die Reporter von Time, New York Times, Saturday Evening Post, Life und Look hatten ihn auf ihrer A-Liste, denn die Doors hatten ein breit gefächertes Publikum. Außerdem hatten sie selbst Freude daran, ihn zu interviewen. Er lud sie in die nächst gelegene Striptease-Bar ein und lieferte ihnen zwischen den Bieren ganze Essays, die locker von seinen Lippen auf das Tonband kamen. Zum Beispiel sagte er: "Man ist immer auf der Suche. Eine Tür nach der anderen macht man auf. Bis jetzt gibt es noch keine widerspruchsfreie Philosophie oder Politik. Die Sinnlichkeit und das Böse geben uns jetzt ein attraktives Image, aber halten Sie das für eine Schlangenhaut, die einmal abgestreift wird. Was wir tun, unsere Darbietungen sind ein Abmühen um Verwandlung. Zur Zeit interessiere ich mich mehr für die Schattenseiten des Lebens, das Böse, die dunkle Seite des Mondes, die Nacht. Aber in unserer Musik sind wir drauf und dran durchzubrechen in ein Reich größerer Freiheit und Reinheit. Es entspricht dem alchimistischen Prozeß. Am Anfang steht die Phase der Unordnung, des Chaos, das Zurückkehren in ein urtümliches Reich des Unheils. Daraus werden durch Reinigung die Elemente gewonnen, ein neuer Keim des Lebens gefunden, der alles verwandelt, alle Materie, die Persönlichkeit, bis schließlich - hoffentlich - das wahre Selbst des Menschen hervortritt und in einer heiligen Hochzeit all diese Dualismen und Gegensätze aufhebt. Dann spricht man nicht länger von Gut und Böse, sondern von etwas, was vereint und rein ist. Unsere Musik und wir selbst sind in unserem Rock-Theater noch immer in einem Zustand des Chaos und der Unordnung mit vielleicht einem keimhaften Element der Reinheit, fast einem Anfang. Seit wir uns als Personen einbringen, fängt es an: Musik und Personen werden eins. Betrachten Sie uns als erotische Politiker." Die Presse machte aus ihm keinen erotischen Politiker und sie machte aus ihm auch keinen sinnlichen Philosophen. Sie machte ihn zu einem Sex-Symbol ohne Konkurrenz. James Dean war tot, Marlon Brando hatte einen Bauch angesetzt und jetzt kam Jim Morrison. Durch die Presse erfuhren Jims Eltern, wo er steckte. Die Mutter hatte schon mit dem Gedanken gespielt, einen Detektiv auf Jim anzusetzen, aber der Vater hatte es ihr verboten. Jim und seine Mutter wechselten nur wenige Worte am Telefon. Sie sagte, er solle doch zum Erntedankfest nach Hause kommen und sie würden im Kreis der Familie wieder beisammen sein, so wie früher. Jim lud sie zu einem Konzert zu Hause in Washington ein. Die Mutter machte ihm Vorwürfe, warum er sich nicht gemeldet habe und dann sagte sie, wenn er komme, dann müsse er sich die Haare schneiden. Dieser letzte Satz hat wohl dazu geführt, daß Jim weiter vor seinen Eltern floh und sich von seiner Truppe abschirmen ließ, als seine Mutter mit dem jüngeren Bruder das Konzert besuchte. Die zweite LP der Doors verkaufte sich genauso gut wie die erste. Die Manager traten an Jim heran und fragten ihn, ob er sich nicht von der Gruppe trennen wolle. Dann könne er sich Musiker mieten und würde viel mehr Geld verdienen. Er sei doch schließlich das Zugpferd. Er könne noch berühmter werden. Jim sagte, er würde sich die Sache überlegen. Das war wieder einmal gelogen. Jim ging zu Ray, Robby und John, erzählte ihnen die Geschichte und es wurde gemeinsam erwogen, ob man sich nicht ein neues Management suchen sollte. Bei den Doors wurden alle Beschlüsse einstimmig gefaßt. Sie hielten zusammen wie die vier Musketiere, waren demokratischer als die Demokraten, auch wenn Jim auf der Bühne unberechenbar oder betrunken war. Die Doors gingen weiterhin zu viert auf Tour. Der Druck der großen Geldmaschine war langsam deutlich zu spüren. Sie lebten zwischen den Flughäfen, wußten manchmal nicht mehr, in welcher Stadt sie eigentlich waren. Sie flogen erster Klasse, wurden bevorzugt behandelt, stiegen in große, schwarze Limousinen und die Fans liefen hinterher. Jede Nacht schliefen sie in einem anderen Hotel. Ein Leben aus dem Koffer. Sie gaben Interviews, gaben Autogramme und mußten sich nebenbei Gedanken um die nächste LP machen, obwohl doch die letzte gerade in mühseliger Kleinarbeit von Paul, Bruce, John, Robby und Ray abgemischt worden war. Dafür mußte Jim weiterhin die Poesie in seinem Kopf kreisen lassen und unbekannte Melodien erforschen. Er mußte die schönen und wahren Worte weiterhin in sein Notizbuch oder auf Servietten kritzeln und dann in die Schreibmaschine tippen. Sie mußten ein Publikum faszinieren, das immer größer wurde. Sie spielten jetzt in riesigen Hallen vor Tausenden von Menschen. Jim schwenkte sein Mikrophon wie ein Lasso über dem Kopf. Er ließ sich von Vorhängen in schwindelnde Höhen tragen und er war der erste, der den großen Sprung ins Publikum wagte. Er breitete die Arme aus und segelte wie ein großer Vogel in die Arme des wogenden Publikums. Jim stieg langsam immer mehr auf die Droge Alkohol um. Der LSD-Kick machte ihm jetzt Angst. Kicks hatte er jetzt genug. Er hatte die Mädchen, den Ruhm, das Geld, ständig neue Eindrücke und die Musik. Alles was er jetzt wollte, war Bruder Alkohol, sein alter Freund Dionysos. Er versprach Abstand von allem und zeitweiliges Vergessen. Im Dezember 1967 hatte die Band einen Auftritt in New Haven. Wie immer waren überall Polizisten postiert, um die Band vor Übergriffen der Fans zu schützen. Zwischen der Bühne und dem Publikum gab es eine große Absperrung. Es war schon etwas seltsam, weil es zu dieser Zeit eigentlich nie zu Ausschreitung des Publikums kam. Die Zeiten, in denen die Teddyboys bei Konzerten von Bill Haley das Mobilar zerhackten, waren lange vorbei. Nur die Rolling Stones hatten in ihren Anfängen auf der Waldbühne noch einmal für Krawall gesorgt. In der Hippie-Generation war Gewaltfreiheit beinahe ein religiöses Dogma. Wenn die Doors am Ende "When The Music´s Over" oder "The End" sangen, war das Publikum emotional vollkommen ausgelaugt und ging wie im Taumel nach Hause. Jim Morrison fühlte sich auf der Bühne wie ein Schamane und er hatte immer das Gefühl, er könne die Emotionen der Massen auf eine positive Art lenken. Er war immer der Meinung, nicht das Publikum erfahre eine Katharsis, sondern derjenige, der auf der Bühne steht. Er war auch der Meinung, daß niemand versuchen würde, die Bühne zu stürmen, wenn die Barriere nicht da wäre. Die Barriere animierte ab und zu jemanden aus dem Publikum, die Bühne wie ein Bergsteiger zu erklimmen, um auf dem Gipfel für einen kurzen Moment den bewunderten Star zu umarmen. Dieses Polizeiaufgebot war da schon ein wenig unheimlich. Es war auch seltsam, daß die Polizisten immer ihre Notizblöcke zückten, wenn Jim in einem Nebensatz eine abfällige Bemerkung über die Republikaner machte. In Zeiten des Wahlkampfes hörte man das natürlich nicht gern. In New Haven auch nicht. Außerdem sang er diese nach allen Seiten hin schonungslosen und dennoch poetischen Texte, Wahrheiten im Blues verpackt: "Fünf zu eins, Baby! Eins zu fünf! Keiner kommt hier lebend raus. Du kriegst deins Baby und ich krieg meins. Wir werden es schaffen, Baby, wenn wir es versuchen. Die Alten werden alt. Die Jungen werden stärker. Mag es eine Woche dauern oder auch länger. Sie bekamen die Gewehre und wir die Mehrheit. Wir werden gewinnen, alles übernehmen. Kommt schon! Deine Ballraumzeiten sind vorbei, Baby. Die Nacht zeichnet sich ab. Schatten des Abends kriechen über die Jahre. Du gehst über die Erde mit einer Blume in deiner Hand. Versuchst mir zu erzählen, daß keiner versteht. Machst aus deinen Stunden eine Handvoll Groschen." Und dann sangen alle im Chor: "Laßt uns noch einmal zusammen kommen!" Und dann immer leiser: "Laßt uns noch einmal zusammenkommen!" In New Haven stand Jim Morrison mit einem Mädchen hinter der Bühne. Er wollte sich einfach nur in Ruhe mit ihr unterhalten. Die Roadies schleppten die Verstärker an ihnen vorbei, überall liefen die Groupies herum und die Polizisten standen in den Gängen. Sie gingen in den Waschraum. Jim gab ihr einen Kuß. Auf einmal kam ein Polizist herein und schrie: "Auf Kinder, raus da! Niemand darf hinter die Bühne". "Wer sagt das?" fragte Jim und stellte sich schützend vor das Mädchen. Wußte er nicht, daß Jim der Sänger war? "Ich sagte raus da! Also los jetzt, Bewegung!" Er griff zur Chemischen Keule an seinem Gürtel. "Letzte Warnung, letzte Chance!" sagte er. "Die letzte Chance, es zu schlucken", erwiderte Jim und schon rannte das Mädchen los und Jim bekam die ganze Ladung ins Gesicht. Jim bekam Erstickungsanfälle und er konnte nichts mehr sehen. Er schrie vor Schmerzen und taumelte den Gang entlang. Es war noch eine halbe Stunde bis zum Auftritt. Die Roadies und die Gruppe rannten herbei und kümmerten sich um Jim. Sie wuschen ihm die Augen aus und es mußte ein Arzt geholt werden. Das Publikum mußte noch eine ganze Weile vertröstet werden. Mit roten Augen und immer noch halb blind sang er seinen "Backdoorman" mit voller Leidenschaft: "Ihr Männer eßt eure Mahlzeit, Bohnen mit Speck. Ich vernaschte mehr Hühner, als ein Mann je gesehn...denn ich bin der Hintertürmann! Die Männer haben keine Ahnung, aber die kleinen Mädchen verstehn!" Der Rhythmus stampfte noch eine Weile und wurde dann leiser, als er wieder einmal Zeilen sang, die er nie zuvor gesungen hatte. "Ich möchte euch etwas erzählen, was sich vor ein paar Minuten hier, gerade hier in New Haven ereignet hat. Das ist doch New Haven , nicht wahr? New Haven, Connecticut, USA?" John ließ seine Trommelstöcke sinken und fing laut an zu stöhnen. Dann trommelte er leise weiter. Jim sang im sanften Blues von einem Essen, von ein paar Drinks, von einem Gespräch über Religion mit einer Kellnerin und er sang von diesem schönen Mädchen und langsam setzte der schwere Backdoorman-Rhythmus wieder ein: "Und wir wollten ein wenig allein sein und gingen in den Waschraum." Und dann sang er im breitesten Südstaatenslang von dem kleinen Mann in seinem kleinen blauen Anzug mit dem kleinen blauen Mützchen. Er sang die ganze Geschichte. Und dann am Ende: "Oh, ich bin der Mann von der Hintertür. Alle Welt haßt mich. Ich bin der Mann von der Hintertür." Das Publikum brüllte vor Lachen. Es war ein lautes Lachen gegen die Polizei. Plötzlich gingen die Lichter an. Robby flüsterte Jim ins Ohr: "Ich glaube, die Bullen sind sauer." Der Polizei-Leutnant kam auf die Bühne und eröffnete Jim, er sei verhaftet. Jim hielt dem Polizisten noch das Mikrophon unter die Nase, aber da kam noch ein zweiter Polizist auf die Bühne und sie packten ihn am Arm, führten ihn durch den Vorhang ab und dann schleiften sie ihn die Treppe hinunter. Auf dem Parkplatz wurde er vor einen Streifenwagen gestellt und man machte ein Foto von ihm. Danach schlugen sie ihn zusammen, traten ihn und warfen ihn in den Streifenwagen, um ihn zur Wache zu fahren. Jim verbrachte ein paar Stunden im Knast und mußte sich von den Blessuren unterhalb der Gürtellinie erholen. Der Roadmanager Bill Siddons hinterlegte 15000 Dollar Kaution aus der Tageskasse. Auf dem Parkplatz wurden im allgemeinen Trubel auch zwei berühmte Journalisten und ein Fotograf gleich mit verhaftet. Da hatte die Polizei einen großen Fehler gemacht. Es war ein Schuß in den Ofen. Der Fotograf war gerade von einem Einsatz aus Vietnam heimgekehrt. Die Presse war auf Jims Seite und verschaffte ihm nur noch mehr Publicity. Die Anklage wegen eines Vergehens gegen die Sittlichkeit, des Hausfriedensbruches und des Widerstandes gegen die Staatsgewalt mußte wegen unzureichender Beweislage fallengelassen werden. Jim und Pamela wurden Trauzeugen bei der Hochzeit von Ray und Dorothy. Jim sang beinahe die ganze Nacht für das frisch vermählte Paar und am Ende mußte man ihn von der Bühne ziehen. Danach machten die Doors ihren jungen Roadmanager Bill Siddons zu ihrem Manager. Die Arbeit an der dritten LP "Waiting for the Sun" sollte beginnen. Am Anfang schien alles zu scheitern. Jimbo kam zum Vorschein. So nannte Ray Manzarek diese dunkelste Persönlichkeit in Jim Morrison, dieser Mr. Hyde, ein gemeiner Trunkenbold. Jim kam betrunken ins Studio und brachte seine Saufkumpane auch gleich mit. Paul Rothchild warf sie im hohen Bogen hinaus. Es war so schlimm, daß sich Ray traurig an den jungen Mann erinnerte, der ihm am Strand von Venice etwas vorgesungen hatte. John Densmore hatte die Band voller Wut im Bauch verlassen, kam aber am nächsten Tag wieder, weil er die gemeinsame Arbeit zu sehr vermißte. Ohne die Doors war das Leben kein Leben mehr. Paul Rothchild animierte die Gruppe weiterzumachen. Er hatte das Gefühl, Jim würde nicht mehr lange leben, nachdem er die Schnapsleiche da auf dem Boden liegen sah. Jim ging volltrunken in die Gesangskabine und sang "Five To One" mit so einer Intensität und Leidenschaft, daß Paul Rothchild den Song für die Platte verwendete. Gleich beim ersten Take war die Aufnahme gelungen. Während der Aufnahmen war man immer kurz davor, einen Notarzt zu holen. Jim rappelte sich aber wieder auf. Er war das reinste Stehaufmännchen. Jim kam zu Ray und sagte: "Ich glaube, ich bekomme einen Nervenzusammenbruch." Jim wollte aussteigen. Immer wieder sagte er Ray, er könne einfach nicht mehr. Ray dachte an alles, was sie bisher erreicht hatten. Der Traum von Venice hatte sich doch verwirklicht. Die ganze Arbeit hatte sich doch gelohnt. Ray wünschte sich, daß es immer so weitergeht. Er gönnte seinem Freund ein paar Tage Urlaub und bat ihn, nur noch sechs Wochen weiterzumachen. Und Jim machte weiter und weiter. Später machte Ray sich Vorwürfe, diese Worte nicht ernster genommen zu haben. Die Arbeit ging weiter. Sie nahmen "Yes, The River Knows" auf, eine wundervolle Ballade, "Wintertime Love" war fast schon ein Wiener Walzer. "My Wild Love" war spontan entstanden. Ein Kinderlied mit Händeklatschen. "Hello I Love You" wurde als Single ausgekoppelt. Ein reiner Ohrwurm mit einem Rhythmus, der direkt in den Bauch ging. Dieser Song wurde nicht nur in Amerika Nummer eins in der Hitparade, sondern auch in Europa. Nach dem Vorfall in New Haven wurde er aber bald auf den Index gesetzt und durfte in den Radios nicht mehr gespielt werden. Die Sittenpolizei reiste der Band jetzt immer hinterher. Nach den Aufnahmen engagierten die Doors ihre alten Freunde von der UCCLA, um die Live-Auftritte der Band mit der Kamera zu dokumentieren. Jim stürzte sich mit ihnen in die Arbeit. Sie spielten in Hollywood, Dallas und Huston, Honolulu und New York. Jim saß Stunde um Stunde mit seinen Freunden im Schneideraum. Außerdem begann er, seinen ersten Gedichtband zusammenzustellen. Pamela wollte, daß er sich nur noch dieser Arbeit widme. Jim hatte Pamela eine Boutique gekauft und die Decke mit echten Pfauenfedern dekorieren lassen. Einen großen Teil seines Geldes hatte er in die Musikanlage der Band gesteckt. Er selbst wohnte immer noch in seinem kleinen, heruntergekommen Motel oder bei Pamela. Sein ganzer Besitz war eine Kiste mit Büchern. Jim gab in den Kneipen eine Runde nach der anderen aus oder schenkte Danny ein Flugticket, damit er die Band auf Tournee bewundern konnte. Er warf einem kleinen Jungen seine teure Jacke über die Schulter, weil er ihn im Regen zittern sah. Er kaufte sich einen Anzug aus Schlangenleder und seinem Freund neue Stiefel, weil er sie brauchte. Aber im Grunde hatte er seinen Lebensstil seit den Tagen auf dem Dach nicht groß geändert. Jim machte sich nicht viel aus all den Bedürfnissen, wie er es nannte. Er brauchte kein Haus und kein Auto und keine Pferde. Er wollte dem Publikum das geben, was es wirklich wollte und brauchte: Etwas Heiliges! Immer noch war ihm dieser dionysische Geist das Wichtigste. Einmal hatte er einem Freund gesagt: "Wenn ich mich nicht innerhalb dieses Jahres weiterentwickle, dann tauge ich nur noch für Nostalgie." Die dritte LP der Doors wurde auch die Nummer eins in Amerika. In zehn Wochen wurden 750.000 Stück verkauft. Die Doors gaben ein Konzert im Hollywood Bowl und die Rolling Stones saßen im Publikum. Die Doors waren die Lieblingsgruppe der Soldaten in Vietnam. Aus den Lautsprechern der Hubschrauber erscholl laut "The End", während sie da unten auf Menschen schießen mußten. Sie saßen da in der Dunkelheit und hörten ihre Doors-Tapes. Sie hielten zusammen und versprachen, ihren Müttern zu schreiben. Zur gleichen Zeit durfte der Film "The Unknown Soldier" im Fernsehen nicht gezeigt werden, lief aber über die Radiosender: "Frühstück während die Nachrichten gelesen werden. Das Fernsehen hat die Kinder gefüttert. Ungeboren lebend. Lebend tot. Kugeln treffen den behelmten Kopf. Und es ist alles vorbei für den unbekannten Soldaten. Schaufel ein Grab für den unbekannten Soldaten, geschmiegt an deine eingefallene Schulter. Es ist alles vorbei für den unbekannten Soldaten. Der Krieg ist zu Ende." Die Hippies skandierten auf ihren Protestmärschen immer wieder "The war is over." Irgendwann mußte ja die Regierung dem Druck der Öffentlichkeit nachgeben. "The End " wurde später ein wichtiges, musikalisches Element in der Schlußszene zu dem Vietnam-Film "Apokalypse Now". Als nächstes ging die Band zusammen mit Jefferson Airplane auf Europa -Tournee. Sie freuten sich auf den alten Kontinent mit seiner Kultur. Jim nahm seine Pamela mit. Als sie in London ankamen, wurden sie von Hunderten von Fans und einem Kamerateam empfangen. Zuerst spielten sie im Roundhouse in London. Es hieß so, weil es früher eine Drehscheibe für Eisenbahnlokomotiven gewesen war. Ein alter, verstaubter Schuppen mit viel Atmosphäre. Es gab eine große Lightshow und das Publikum steckte in bunten Zigeunerklamotten. Der Laden war gerammelt voll und die englischen Rockstars waren auch da, darunter auch Paul McCartney. Es wurde ein wunderbares Konzert und Jim zog sie alle in seinen Bann. Es gab nur 2500 Sitzplätze und die Doors fühlten sich vor so einem kleinen Publikum an ihre frühesten Anfänge erinnert. Sie spielten an vier Abenden und die zehntausend Karten waren im Nu ausverkauft. Die Menschen versammelten sich in riesigen Scharen vor verschlossenen Türen, um wenigstens etwas zu hören. Sie wurden von der BBC vertröstet, denn sie drehten das Konzert mit. Es entstand der wirklich sehenswerte Film "The Doors are open". In das Konzert waren Schnitte eingeblendet, und zwar Wochenschaumaterial vom Parteitag der Demokraten in Chikago und einer Demonstration vor der amerikanischen Botschaft in London. Jim fand das in Ordnung, obwohl er mit den anderen Doors einer Meinung war, daß diese Szenen auch ein Vorurteil gegen die Amerikaner waren. Die Gruppe wurde hier eben auch sehr stark unter ihrem kulturellen und politischen Aspekt gesehen und gewürdigt. Den Doors gefiel diese Art der Intelligenz und Kritikfähigkeit im alten Europa. Außerdem schien es Jim, als ginge man hier das Leben ein wenig ruhiger an und das Geld spielte auch nicht so eine große Rolle wie in den Staaten. An dieses Klima hätte er sich gewöhnen können. Pamela mietete derweil eine kleine Wohnung in London, weil sie nach der Tour noch ein paar Tage in London bleiben wollten. Bevor die Tour weiterging, tauchten die beiden unter und machten einen Ausflug nach Stonehenge. Als nächstes stand Deutschland auf dem Plan. Sie sollten in Frankfurt auftreten. Auf dem Flughafen wurden sie mit Blumen empfangen. Die Presse wurde angewiesen, sich von Jim fernzuhalten und ihn nur zu beobachten. Der Hamburger Fotograf Günter Zint machte dort von ihm eine Fotostudie. Die Gruppe fühlte sich von der Plattenfirma in Deutschland sehr verwöhnt. Jim war von der Schönheit der jungen Frau sehr angetan, die sich um das Wohl der Gruppe kümmern sollte. Die Journalistin Florentine Pabst war von Jim fasziniert. Im Stern berichtete sie von seinem schlafwandlerischen Charme: "Schlafwandlerisch geht er durch den Raum und läßt dunkle Locken auf träge Wimpern fallen." Sie berichtete, wie er von Rilke und Nitzsche schwärmte und dann sagte er ihr während dieses Interviews mit seiner sanften Stimme ein Gedicht von Hermann Hesse auf. Sie berichtete, daß er fast täglich Gedichte in ein schwarzes Schulheft schrieb, aber niemand bekäme sie zu Gesicht. Er sagte ihr: "Ich schreibe meine Gedichte nie selber, meine Geister schreiben sie für mich." Jim strolchte in der Gegend herum, erklomm die Kanzel der Nikolaikirche und ließ sich dort fotografieren. Er spendete dem Pfarrer fünfhundert Dollar und dafür durfte er auf der Orgel auch noch ein wenig improvisieren. Er saß in einem Apfelbaum und schrieb Gedichte. Als er wieder herabgeklettert war, vertiefte er sich mit aller Gründlichkeit in die Weinproben. Das ZDF drehte einen kleinen Film für einen Song auf dem Römerberg. Die vorübergehenden Passanten bestaunten den langhaarigen Exoten zwischen alle den Kabeln, Gitarren und Verstärkern. Der Anfang des Konzerts wurde von amerikanischen Soldaten gestört, die dort stationiert waren. Sie pfiffen ständig und riefen immer dazwischen. Jims Weinproben machten sich mitten auf der Bühne mit quälenden Kopfschmerzen bemerkbar. Er war ein wenig enttäuscht, als das Publikum zu dem Alabama-Song von Brecht und Weil nur brav applaudierte. Hier in Deutschland war der Song doch entstanden und dieser Song war der Grund gewesen, daß Jac Holzman auf sie aufmerksam geworden war. Aber am Ende gab es so viele Zugaben, daß die Garderobenfrauen sich wegen der Überstunden beschwerten. Später gab es dann eine neue, kleine Kneipe in Frankfurt mit dem Namen "Morrison". Ihren nächsten Auftritt hatten sie in Amsterdam. Kurz vor dem Zoll fiel Jim ein, daß ihm ein Mitglied von der Vorgruppe Canned Heat in Frankfurt ein großes Stück Haschisch in die Tasche gesteckt hatte. Jim schluckte es ganz schnell hinunter, bevor der Zollbeamte ihm in die Augen sehen konnte. An der Flughafenbar spülte er natürlich kräftig nach. Er spülte das ganze Zeug mit Whiskey pur, Schnäpsen und Bier hinunter. Am Abend, als Jefferson Airplaine noch spielten, sprang Jim auf einmal zu ihnen auf die Bühne und sang und tanzte wie ein wild gewordener Derwisch. Er sang mit ihnen "Somebody To Love". Er trieb die Band zu immer schnellerem Tempo an, verhedderte sich in den Kabeln und fiel hin, stand wieder auf, sang weiter und brach dann mitten auf der Bühne zusammen. Jefferson Airplane hatten das am Anfang alles für einen großen Spaß gehalten und dann waren sie zu Tode erschrocken. Sie wußten ja nicht, daß diese gefährliche Mischung aus Haschisch und Schnaps gerade in seiner Wirkung voll zur Entfaltung kam. Man brachte Jim in die Garderobe, da köpfte er noch eine Flasche Bier, trank sie in einem Zug leer und sackte dann langsam in sich zusammen. Bill Siddons rannte zu ihm, als er ihn vom Klavierstuhl rutschen sah. Er gab kein Lebenszeichen mehr von sich. Seine Haut war blaß wie Kalk. "Jetzt ist es aus", schoß es Bill durch den Kopf. Jim hatte glasige Augen und er rührte sich nicht. Ray, Robby und John durchzuckte es wie ein Blitz. Sie hatten den gleichen Gedanken wie Bill: " Es ist aus. Es ist alles zu Ende." Mit zitternden Händen hielt Bill ihm einen Spiegel unter die Nase und wartete auf einen Atemhauch. Es dauerte beinahe eine Ewigkeit, bis sich dort ein kleines Wölkchen abzeichnete. Ein Arzt aus dem Publikum kam herbeigeeilt und meinte, der Mijnheer habe das Bewußtsein verloren. Man rief einen Krankenwagen und Jim wurde mit einer Sauerstoffmaske und mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren. Die Jefferson Airplane waren gerade mit ihrem Set am Ende. Das Publikum wurde unterrichtet und gefragt, ob es sein Geld zurück haben oder die Doors sehen wolle, allerdings ohne Jim Morrison. Das Publikum wollte die Doors. Es war eine alte und ehrwürdige Musikhalle, in der sonst nur klassische Musik zu hören war. Die Doors spielten, als wären sie schon immer ein Trio gewesen. Robby und Ray übernahmen den Gesang, allerdings verzichteten sie dabei auf die epischen Stücke. Das Publikum tobte vor Begeisterung. Am nächsten Tag erschien ein großes Foto von John Densmore auf der Titelseite einer Tageszeitung. Ray und Robby bemerkten an diesem Tag bei John einen leichten Anflug von Größenwahn und sie wollten nicht aufhören, sich darüber zu amüsieren. Jim war auch bald wieder auf den Beinen. Er konnte sich an nichts erinnern. Der Arzt hatte ihn gefragt, wie denn das alles geschehen sei und er hatte ihm gesagt, daß er einfach nur so furchtbar müde gewesen sei. Etwas besseres war ihm nicht eingefallen. Der Arzt dozierte dann über zwanzig Minuten über die Gefahren des Showgeschäftes und sagte ihm, er müsse sich vor habgierigen Managern schützen, die Talente verheizen. Lächelnd erzählte er Bill und den anderen diese Geschichte. Sie strahlten ihn an. Sie waren so froh, daß nicht alles aus war. Sie waren so froh, daß er da vor ihnen saß, als wenn nie etwas gewesen wäre. Am nächsten Tag fuhren sie nach Kopenhagen weiter und dann ging es nach Stockholm. Auch hier gaben sie hervorragende Konzerte. Danach kehrten sie nach London zurück. Jim und Pamela bewirteten die Gruppe fürstlich in ihrem gemieteten Haus, denn die Gruppe wollte jetzt ohne die beiden nach Hause fahren. Ray empfand alles so natürlich und fein und kultiviert. Keine Rede mehr davon, daß Jim aufhören wollte. In London bekam Jim Besuch von dem Dichter Michael McClure. Er wollt ihn fragen, ob er in der neuesten Verfilmung von seinem Theaterstück "The Beard" die Rolle des Billy The Kid übernehmen wolle. Die nächsten Tage zogen sie durch die Gemeinde und faßten immer den Plan, im Lake District das Grab von Keats zu finden. Daraus wurde aber nichts, weil sie immer zu betrunken waren. Zwischen den Bieren ging es nur um Poesie. Die beiden verstanden sich prächtig. Eines Morgens lag das Heft mit Jims Gedichten auf dem Tisch. Michael begann zu lesen. Er wußte zwar, daß Jim Gedichte schrieb, aber außer Pamela hatte niemand sie gelesen. Er war so tief beeindruckt, daß er Jim immer wieder drängte, er solle sie veröffentlichen. Jim wollte aber nicht, daß seine Gedichte mit seinem Image als Rockstar in Zusammenhang gebracht würden, aber das ließe sich wohl kaum verhindern. Es war ihm wirklich ernst damit. Michael riet ihm, sie als Privatdruck mit kleiner Auflage zu veröffentlichen. Das wäre kein Makel. Shelley und Lorca und er selbst hätten es auch getan. Jim war damit einverstanden. Wenn er sie veröffentlichen würde, dann nur unter seinem vollständigen Namen: James Douglas Morrison! Als Jim wieder zu Hause in Amerika war, ging er wieder zu seinen Freunden in den Schneideraum. Als die Arbeit an dem Film endlich beendete war, nannten sie ihn "Feast of Friends". Es war zwar kein abendfüllender Kinofilm geworden, so wie sie es eigentlich vorgehabt hatten, aber das Ergebnis konnte sich trotzdem sehen lassen. Man konnte ihn ja auch an das Fernsehen verkaufen. Die anderen Doors-Mitglieder waren von dem Ergebnis enttäuscht. Der Film schien ihnen zu kurz und zu chaotisch zusammengeschnitten. Nebenbei hatte Jim über den Agenten von Michael McClure in New York einen Verleger gefunden, der auf seine Bedingungen einging und ihn nicht als Rockstar vermarkten wollte. Jim nannte das Buch "The Lords and The New Creatures". Er dachte auch an einen Privatdruck für Los Angeles. Bald darauf standen wieder Konzerte an und die nächste Platte sollte aufgenommen werden. Sie spielten jetzt in großen Stadien, wie zum Beispiel dem Forum mit seinen 18 000 Sitzplätzen. Das Publikum ignorierte jetzt die Vorgruppen und es gab immer nur die Rufe nach dem Song "Light My Fire". Knallfrösche platzten auf der Bühne und verfehlten Jim nur knapp. Das Publikum wollte nur noch eine Freakshow sehen. Die Doors waren jetzt ganz oben an der Spitze, aber Jim war innerlich frustriert. Die große Geldmaschine wurde zur Routine und da gab es kaum noch einen Raum für die Inspiration zwischen Jim und seinem Publikum. Zu ihren Konzerten brachten die Doors jetzt ihre eigenen Bodygards mit. Sie waren alle unglaublich groß und sie waren alle sehr muskulös und sie waren alle schwarz. Jetzt war die Gruppe auf den "Schutz" der Polizei nicht mehr angewiesen. Es waren schwere Zeiten. Martin Luther King und Robert Kennedy waren ermordet worden. Die Manson Bande zog mordend durch die Straßen. Der Vietnamkrieg war immer noch nicht beendet. Jim und Robby waren von einer Rassistenbande wegen ihrer langen Haare zusammengeschlagen worden. Robby hatte ein blaues Auge davongetragen und bei der nächsten Fernsehshow weigerte er sich, es schminken zu lassen. Für ihn war es wie ein Ehrenabzeichen. Einmal wurde der Band der Strom abgestellt und im Publikum kam es zu Unruhen. Jim hatte den Wahlkampf um Präsident Nixon mit vier Jahren Mittelmäßigkeit und Pferdescheiße kommentiert. Während die Band ihre vierte LP "The Soft Parade" aufnahm, kam es zum ersten Mal zu Auseinandersetzungen innerhalb der Gruppe. Robby hatte den Song "Tell All The People" komponiert und Jim wollte den Text nicht singen. Es ging um die Zeilen: "Folge mir nach! ... und dann weiter: "Nehmt eure Gewehre und folgt mir nach unten." Jim wollte auf keinen Fall zur Gewalt aufrufen und er wollte nicht, daß man ihm auf seinem Weg folgte. Wohin auch immer. Jim wollte diesen Text nicht singen und Robby wollte ihn nicht ändern. Am Ende einigte man sich darauf, daß der Komponist und der Texter auf dem Cover genannt werden mußte. Und dann gab es einen Streit um den Song "Light My Fire". Die Gruppe hatte ihn für einen Werbespot an die Autofirma "Buick" verkauft, als Jim in London gewesen war. Sie hatten den Vertrag ohne ihn unterschrieben. Jim war außer sich. Das Lied war ihm doch immer noch heilig, obwohl es ihm schon zu den Ohren herauskam, weil er es immer und immer wieder singen mußte. Wußten sie denn nicht, was sie Millionen von Menschen damit sagten? Ray sagte, er hätte es für eine gute Idee gehalten, weil dieses Auto klein und umweltfreundlich war. Jim meinte, er hätte seine Seele dem Teufel verkauft. Es ginge ihm nur um das Geld, um seinen Lebensstandard. Für Jim war die ganze Sache ein einziger Verrat. Bisher hatten sie doch alle Entschlüsse gemeinsam gefaßt. Was war aus ihrer Freundschaft geworden? Robby sagte ihm, er sei nicht da gewesen. Sie hätten ihn nicht erreichen können. Wutentbrannt rief Jim bei Jac Holzman an und drohte ihm, er würde mitten auf der Bühne einen Buick zerhacken, wenn er den Vertrag nicht annulliere. Jim hatte gewonnen. Der Werbefilm wurde niemals im Fernsehen gezeigt. Die nächsten drei Tage sprachen die Doors kein Wort miteinander. Auf der LP "The Soft Parade" benutzten die Doors viele Bläser und Streicher, die zu ihnen ins Studio kamen und auch zwischendurch mit ihnen auf die Bühne gingen. Sie holten sich Curtis Ami, einen Jazzsaxophonisten und den Posaunisten George Bohanan für das Lied "Runnin Blue". Robby Kriegers Song "Touch Me" wurde wieder ein Hit. Hier hatte Jim die Zeilen "Hit Me" in "Touch Me" umgewandelt. Robby ließ es sich diesmal gefallen. Jims ganze Melancholie floß in seine Texte ein. Wie ein Prediger rief er: "Man kann Gott nicht mit Gebeten bitten... Gott mit Gebeten bitten... Man kann Gott nicht mit Gebeten bitten." Und dann die sanfte Klage: "Kannst du mir Zuflucht gewähren? Ich brauche ein Versteck. Einen Ort für mich, um mich zu verbergen. Finde für mich ein leichtes Asyl. Ich schaffe es nicht mehr. Der Mann steht vor der Tür!" Hatte Jim vielleicht den Ärzten in Amsterdam die Wahrheit gesagt, als er zusammengebrochen war? Hatte er vielleicht das ganze Zeug nur geschluckt, weil er müde war? Stand der Tod schon vor der Tür? Die große Geldmaschine verlangte langsam ihre Opfer. Die Presse mochte das neue Album der Doors nicht. Es war ihnen zu klassisch und mit zu vielen Instrumenten überladen. Zu den Aufnahmen an dieser vierten LP bekamen die Doors Besuch von George Harrison. Jim und George begrüßten sich wie alte Freunde. Die Doors waren darüber etwas verwundert. In London hatte Jim die Beatles in ihrem Studio zu den Aufnahmen von ihrem "White Album" besucht. Er hatte für sie im Chor gesungen. Jim hatte niemandem etwas davon erzählt. Im Lauf der Zeit hatte sich Jim in seinem Aussehen verändert. Er war jetzt kräftiger geworden, hatte sich regelrecht einen Panzer zugelegt und sich einen Bart wachsen lassen. Seine Stimme war dunkler und kräftiger geworden. Er hatte jetzt eine richtige Bluesstimme. Seine ganze Ausstrahlung war jetzt sehr männlich geworden. "See me change!" Zu dieser Zeit begann Jim sich für das Living Theatre zu begeistern. Im Februar 1969 kam die Truppe nach Californien. Jim ließ sich für jede Vorstellung sechzehn Karten reservieren. Das Stück in diesem Konfrontationstheater hieß "Paradise Now". Laut klagend deklamierten sie: "Ich habe kein Recht ohne Paß zu reisen. Ich bin von meinen Mitmenschen getrennt. Die Pforten des Paradieses sind mir verschlossen. Meine Grenzen stecken andere ab. Ich weiß nicht, wie man den Krieg beendet. Ich kann nicht ohne Geld leben. Ich habe kein Recht, meine Kleider abzulegen." Sie mischten sich unter das Publikum und provozierten Antworten. Am Ende legten sie ihre Kleider ab. Sie behielten nur ihre Unterwäsche an, weil die Polizei sie sonst verhaftet hätte. Manchmal schritt die Polizei ein und verhinderten den Fortgang des Stückes. Jim freundete sich mit den Schauspielern der Truppe an. Die Doors befürchteten, Jim könne sie auf der Bühne nachahmen. Jim war mehr und mehr auf der Suche nach einer politischen Botschaft. Der Dichter James Douglas Morrison wurde immer mehr durch Routine in die Ecke gedrängt. Tief in seinem Innern begann eine Sehnsucht zu wachsen. Es war die Sehnsucht nach dem Elfenbeinturm. Er wollte nur noch Dichter sein und sein Gärtlein bestellen, unerkannt und jenseits des Trubels. Die Doors sollten wieder auf große Tour gehen. Neunzehn Auftritte waren geplant. Zuerst stand Miami auf dem Programm. Einige Tage vor dem Auftritt bemerkte Bill Siddons, daß die Veranstalter einen Dollar mehr pro Eintrittskarte verlangten, als vereinbart war. Außerdem fand er heraus, daß zu viele Karten verkauft worden waren. Er stellte Leute mit Zählgeräten vor dem Eingang auf. Die Halle war ein alter, umgebauter Wasserflugzeug - Hangar auf einem Marinegelände. Es war die alte Heimat von Jim Morrison. Am Ende hatten sie fünfzehntausend Menschen in eine Halle gepfercht, in die höchstens zehntausend hineingedurft hätten. Sie hatten das ganze Mobilar herausgerissen, um noch mehr Profit machen zu können. Die große Geldmaschine wurde gefräßig. Die Doors wollten unter diesen Umständen dort nicht auftreten. Es gab großen Ärger und es gab Streit. Inzwischen wartete am Flughafen ein Mann mit einem Lastwagen auf den Roadie Vince Treanor und lud die nagelneue Anlage ein. Ein neues Verstärkersystem mit riesigen Boxen, die der Roadie selbst gebaut hatte. Der Mann hatte seinen ganzen Karateclub mitgebracht und im Nu war die Anlage verstaut. Vince war begeistert, daß ihm so schnell die Arbeit abgenommen wurde. Der Laster brauste los und Vince stand auf einmal ganz alleine da. Sie hatten ihn nicht mitgenommen. Er rief bei Bill Siddons an. Bill Siddons und die Doors kamen mit den Veranstaltern zu keiner Einigung. Die Veranstalter sagten: "Ihr werdet spielen!" Und Bill Siddons erwiderte: "Ich glaube nicht." Und dann fielen die Worte: "Kein Auftritt - Keine Anlage!" Voller Wut im Bauch flog die Gruppe nach Miami. Jim war noch wütender und flog alleine hinterher. Auf seinem Weg gab es nur Schwierigkeiten. Er hatte einen Streit mit Pamela gehabt und dann verpaßte er noch seinen Anschlußflug. Man drängte die Gruppe fünfzehn Minuten früher aufzutreten und Jim kam erst in letzter Minute auf die Bühne. Der Roadie hatte ihnen noch vorher zugerufen, daß die Bühne kurz vor dem Zusammenbruch stand. Die Menge da unten johlte und es war so heiß wie in einer Sauna. Immer noch drängten Leute nach und es roch wie in den Sümpfen. Jim hatte in diesem ganzen Frust wieder einmal zu viel getrunken. Als erstes setzte er sich an den Bühnenrand und trank mit seinen Fans noch eine Flasche Wein. Stampfend begannen die Rhythmen zu "Backdoorman" und Jim ließ wieder einen seiner Schreie los, Schreie, die nur er produzieren konnte. Ein Schrei wie aus Dantes Inferno. Er rief: "Ihr seid alle ein Haufen Sklaven! Wie lange wollt ihr euch noch herumschubsen lassen? Was wollt ihr dagegen unternehmen? Was wollt ihr dagegen unternehmen?" Die Band drosch wie wild auf ihre Instrumente ein. Die Menge drängte immer näher an das wackelige Bühnengerüst, um ihn zu berühren. Ray bemerkte, wie die Bühne auf der rechten Seite schon etwas absackte. Jim sang weiter und badete das Publikum im Wechselbad der Gefühle. "Ich will keine Revolution, ich rede von Liebe. Ich will, daß ihr einander liebt." Die Band spielte "Touch Me" und "Love Me Two Times". Jim schrie, er wolle die Menschen in den Straßen tanzen sehen. Die Fans eroberten langsam aber sicher die Bühne. Ein Vegetarier legte ihm ein Lamm in die Arme. Jim spürte, daß es schnurrte wie eine Katze. Es hatte gar keine Angst. Als nächstes goß jemand eine Flasche Sekt über seinem Kopf aus. Die Leute schrien wieder "Light My Fire" und warfen brennende Streichhölzer auf die Bühne. Jim stand für einen Moment ruhig da, zog dann sein nasses Hemd aus und rief: "Glaubt hier jemand an Astrologie? Ich nicht. Es ist alles ein Haufen Mist. Ich bin Schütze. Es ist das erfolgreichste aller Zeichen. Ich hole mir hier lieber noch ein paar Kicks, bevor das ganze Scheißhaus in Flammen aufgeht!" Die Musik ging weiter und das Publikum johlte und grölte. Immer mehr Leute stürmten die Bühne. Resigniert sagt er: "Ihr seid doch gar nicht hierher gekommen, um unsere Musik zu hören. Ihr wollt die Zirkusspiele. Ihr wollt doch nur meinen Schwanz sehen. Also gut. Ich werde ihn euch jetzt zeigen!" Ray gab Vince ein Zeichen. Jim trug weiße Boxershorts unter seiner Lederhose. Wollte er sich jetzt ausziehen, wie die Schauspieler im Living Theatre? Jim hatte noch nie Unterwäsche getragen und die weiße Unterhose lugte leuchtend aus der Lederhose hervor. Vince robbte sich an Jim heran und drehte seine Gürtelschnalle nach hinten und zurrte sie fest. Er konnte seine Hose jetzt nicht mehr aufmachen. Jim tanzte jetzt Flamenco. Wie ein Stierkämpfer hielt er sein Hemd in der Hand. Er hielt es wie eine Capa vor die Hose und zog es wieder weg. Mit einem spitzbübischen Lächeln auf den Lippen fragte er: " Habt ihr ihn gesehen?" Die Menge brüllt "Ja", obwohl nichts zu sehen war. Die Menschen waren wie in Hypnose und sahen überall Schlangen. Und dann noch einmal. Er hielt das Hemd vor die Hose, tanzte seinen Stepptanz und schon zog er das Hemd wieder weg. Die Menge ließ sich von diesem Tanz hinreißen. Robby spielte dazu ein langes Solo. Jim sank ehrfurchtsvoll vor ihm auf die Knie und beobachtete, wie seine Hände über die Saiten glitten. Die Bühne hatte inzwischen schon gefährlich Schlagseite. Die Menge drängte immer mehr nach vorne, sie heulten und brüllten. Sie spielten jetzt "Light My Fire" und Jim schrie,er brauche ein wenig Liebe. Die Sicherheitskräfte schubsten die Leute von der Bühne, die jetzt langsam aber sicher zusammenbrach. Die Körper segelten nur so durch die Luft, als John flüchtete und Robby seine Gitarre in Sicherheit brachte. Farbbeutel flogen hinter ihnen her. Ein Ordner packte Jim und warf ihn hinunter. Zum Glück wurde er von den Händen da unten aufgefangen. Jim war jetzt inmitten der tobenden Massen und seine Bodygards kamen nicht mehr an ihn heran. Ray begann ganz allein da oben für seinen Freund zu spielen. Vielleicht konnte er ihn hören. Er hatte Angst, sie könnten ihn da unten zertreten. Jim hörte die Klänge und begann sich tanzend nach vorne zu bewegen. Die Menschen folgten ihm tanzend nach. Von oben konnte man erkennen, wie sich aus der tobenden und chaotischen Menge langsam ein spiralförmiges Muster herausbildete. Jim sang "Five To One" und tanzend bildeten sich riesige Kreise. Eine riesige Schlange mit Jim als Kopf. In diesem Reigen sangen sie: "Laßt uns noch einmal zusammen kommen". Am Ende kletterte Jim die Treppe hinauf, winkte noch einmal und dann war er hinter der Bühne verschwunden. Die Bühne hatte jetzt endgültig zur Landung auf dem Boden angesetzt. Ganz langsam wie in Zeitlupe. Ray hörte auf zu spielen. Die Menge zerstreute sich. Überall lagen Bierdosen und Kleider herum. Niemand war zu Schaden gekommen. Ray wunderte sich, daß Jim an diesem Abend nicht verhaftet worden war. Das ganze Konzert war die reinste Apokalypse und der reinste Wahnsinn gewesen. Außerdem hatten sich alle blendend amüsiert. Ein Riesenspaß! Hinter der Bühne tranken die Doors mit den Cops noch eine Flasche Bier. Jim war mit Robby und John im Urlaub auf Jamaica, als der Haftbefehl ihn erreichte. Er wurde rückwirkend ausgestellt. Man behauptete, es hätte zu einem Aufstand geführt, wenn man Jim auf der Bühne verhaftet hätte. Jetzt bestand angeblich Fluchtgefahr. Ihm wurde obszönes und laszives Verhalten, die Simulation oralen Geschlechtsverkehrs (damit war Jims Kniefall vor Robbys Gitarre gemeint, als er das Spiel seiner Finger auf dem Instrument beobachtete) und Trunkenheit sowie unsittliche Entblößung und Gotteslästerung vorgeworfen. Jim drohten sieben Jahre Gefängnis. Über Nacht hatte die Nation ihren Sündenbock gefunden. Die Auftrittsgenehmigungen für die Doors wurden überall im Lande zurückgezogen. Die gesamte Zwanzig-Städte-Tournee wurde abgesagt. Alle sagten ab, einer nach dem anderen. Die Doors verloren im folgenden Monat Buchungen im Wert von einer Million Dollar. Auf den Titelseiten der Zeitungen zeigte man Steckbriefe und Verbrecherfotos von Jim Morrison. Die Doors wurden von den Medien in Grund und Boden gestampft. Es kam zu einer Sittlichkeitsbewegung gegen die Doors, die von Anita Bryant und Jacky Gleason angeführt wurde. Dreißigtausend "Teenager für die Anständigkeit" hatten die Orange Bowl in Florida gefüllt. Zu diesem Marsch für Anstand und Sitte schickte Präsident Nixon einen aufmunternden Brief. Die Branchenpresse beteiligte sich daran. Anfangs hatten die Doors alles für einen Witz gehalten, aber die Sache wurde ernst. Die Parole hieß: "Weg mit den Doors". John Densmore fragte sich, ob die Eltern vielleicht, als die Kinder halbnackt aus dem Konzert gekommen waren, die Politiker mobilisiert hatten. Oder war alles ein rechtsradikales Komplott gewesen? Egal. Jim war in jedem Fall schon immer eine tickende Zeitbombe gewesen. Es dauerte sehr lange, bis die Band wieder auftreten konnte. Als die Doors endlich wieder Buchungen bekamen, enthielten die Verträge einen neuen Zusatz. Die Doors waren jetzt schadensersatzpflichtig, falls Jim obszön oder blasphemisch würde. Hinter der Bühne sollten Polizeibeamte mit ausgefüllten Haftbefehlen warten - sie mußten nur noch die Vorwürfe eintragen, um Jim auf der Stelle verhaften zu können. Als erstes sollte die Gruppe wieder in einer Stierkampfarena in Mexiko spielen. Das Konzert wurde dann aber wieder abgesagt, denn man befürchtete Studentenunruhen. Die Doors mußten in einem kleinen Club spielen. Das Publikum in Mexiko liebte den Song "The End". Laut sangen sie die letzten Zeilen mit. Dieses Lied war dort in jedem Musikautomaten zu finden, immer abgenudelt bis auf den Rest. Für sie war es das Lied eines echten Macho. Langsam trudelten wieder neue Angebote für Konzerte ein. Jim stellte sich im Polizeibüro von Dade County und wurde gleich wieder gegen eine Kaution von fünfzigtausend Dollar auf freien Fuß gesetzt. Sein Anwalt plädierte auf "nicht schuldig". Auf Jim wartete ein langer und zermürbender Prozeß. Es war fast der gleiche Prozeß, den Henry Miller schon einmal Jahre zuvor geführt hatte, da ging es um die Literatur und das Obszöne. Auch bei Jim Morrison ging wieder einmal um die Freiheit der Kunst und um die Unmoral der Moral. Doch davon wollte der Richter nichts hören. Der Anwalt berief sich auf das "Living Theatre" und das Musical "Hair", in denen die Schauspieler nackt zu sehen waren. Doch der Richter ließ diese Beweismittel nicht zu. Sie interessierten ihn einfach nicht. Es wurden auch keine Sachverständigen zugelassen. Nur am Anfang wurde Jim von seinen Fans in den Gerichtssaal begleitet. Am ersten Tag waren neunhundert Fans da, am zweiten vierzig und am dritten Tag nur noch zwölf. Zum Glück hatte Jim genug Geld, um wieder in die Berufung zu gehen. Er beobachtete, wie andere Angeklagte, die nicht so viel Geld besaßen, im Schnellverfahren zu zwanzig Jahren Gefängnis und mehr verurteilt wurden. Er sah, daß die Gerechtigkeit vom Geldbeutel abhing. Jim gab das zu denken und er machte sich während des ganzen Prozesses ununterbrochen Notizen. Der Richter ließ kein einziges Beweismittel des Anwalts zu. Als Ray Manzarek im Zeugenstand gefragt wurde, ob er das Organ des Angeklagten gesehen hätte, sagte er: "Nein Euer Ehren, das habe ich nicht. Ich bin selber Organist." Im Gerichtssaal brach Gelächter aus. Sie hatten ihren Humor noch nicht verloren. Fast alle Zeugen des Staatsanwalts arbeiteten im Büro des Staatsanwalts oder bei der Polizei oder waren mit jemandem verwandt, der dort arbeitete. Jims Anwalt durfte nur siebzehn Zeugen benennen. Es durften nicht mehr sein, als der Staatsanwalt zu bieten hatte. Die Gesetze, die Jim angeblich verletzt hatte, stammten aus dem Jahre 1918. Der ganze Prozeß sollte sich bis zum Oktober 1970 hinziehen. Zu dieser Zeit schnitten die Doors derweil ihre Konzerte für ein Live-Album mit. Es waren Auftritte im Aquarius Theater in Los Angeles, im Felt Forum des Madison Square Garden, im Spectrum in Philadelphia, in der Pittsburgh Civic Arena und der Cobo Hall in Detroit. Die Platte hieß "Absolutely Live". Jim gab eine Dichterlesung mit Michael McClure, um Geld für Norman Mailer zu sammeln, der sich um das Amt des New Yorker Bürgermeisters bewarb. Zu allem Unglück wurde Jim noch auf dem Flughafen in Phoenix wegen Trunkenheit und ungebührlichen Benehmens sowie Behinderung des Flugpersonals verhaftet. Jim wollte sich mit seinem Freund Tom Baker ein Konzert der Stones ansehen und beide hatten während des Fluges zu viel getrunken und laut herumgealbert und einer der beiden hatte angeblich einer Stewardess in den Hintern gekniffen. Die Kaution betrug fünftausend Dollar. Auch das bezahlten die Doors. Es hätte böse ausgehen können, denn bei einem Verstoß gegen das neue Flugzeugentführungsgesetz hätte es alles in allem geschehen können, daß Jim die nächsten dreizehn Jahre im Gefängnis sitzen würde. Jim wurde aber freigesprochen, denn die Stewardeß wußte nicht mehr, wer es nun wirklich gewesen war. Die Plattenfirma Elektra erwartete ein neues Album der Doors. Das fünfte Album mit dem Namen "Morrison Hotel" sollte eines ihrer besten werden. Sie fanden wieder zu den alten Wurzeln ihres Blues zurück. Hier vertonte Jim Morrison den wunderschönen Romantitel "Spion im Haus der Liebe" von Anais Nin: "Ich bin ein Spion im Haus der Liebe. Ich kenne die Träume, die du träumst. Ich kenne das Wort, daß du sehnlichst hören willst. Ich kenne deine tiefste, geheime Furcht." Lonnie Mack spielte den Baß für "Roadhouse Blues" und John Sebastian von den Lovin Spoonful spielte dazu eine funkige Bluesmundharmonika. Jim hatte seit Jahren auf der Mundharmonika geübt, aber niemals Fortschritte gemacht. Die Stücke auf dieser fünften LP waren bluesig und einige waren voller düsterer Vorahnungen und voller Wehmut: "Nun, ich erwachte eines Morgens und holte mir ein Bier. Die Zukunft ist ungewiß und das Ende stets nah." Bei den Aufnahmen zu dieser Platte erlebten die Doors einen wahren Kreativitätsschub. Es gab keine Bläser und keine Streicher. Nur die Doors pur. Sie holten auf dieser LP auch das alte, schöne Lied "Indian Summer" aus der Versenkung. Bei dem Song "Peace Frog" wurden zwei Gedichte aus Jims Notizbuch zu einem Song zusammengesetzt: "Blut in den Straßen im Zentrum von Chicago. Sie kam bei Tagesanbruch. Sie kam und dann fuhr sie fort. Sonnenschein in ihrem Haar. Blut in den Straßen bildet einen Fluß der Traurigkeit. Sie kam. Blut in den Straßen reicht bis zu meinen Schenkeln. Sie kam. Dieser Fluß rinnt rot die Beine der Stadt hinab. Sie kam. Die Frauen klagen und Flüsse weinen. Sie kam in die Stadt und dann fuhr sie wieder fort. Sonnenschein in ihrem Haar. Blut in den Straßen mitten in New Haven. Blut besudelt die Dächer und die Palmen von Venice. Blut in meiner Liebe in dem schrecklichen Sommer. Blutrote Sonne des großartigen L.A. Blut schreit das Hirn, als man ihr die Finger abhackt. Blut entsteht bei der Geburt einer Nation. Blutrot ist die Rose einer geheimnisvollen Vereinigung. Da steht Blut in den Straßen bis hoch zu meinen Knöcheln. Blut in den Straßen bis hoch zu meinem Knie. Blut in den Straßen inmitten von Chicago. Blut steigt immer noch und folgt mir." Das Lied erinnert an den Mai 1970, wo hunderttausende junger Leute an Massengebetsversammlungen, Mahnwachen und Streiks teilnahmen und vier Studenten an der Kent State University getötet wurden. Ronald Reagan hatte auf einer Pressekonferenz noch vorher gesagt: "Wenn es ein Blutbad geben muß, werden die Aufstände damit niedergeschlagen. Keine Schlichtungsversuche mehr!" Am Ende der Sessions gab es eine freie Improvisation mit dem Titel "Rock Is Dead". Jim prophezeite den Tod des Rock durch die Zerstörung der Konzerne und die Vereinnahmung der Revolution durch die Macht des Dollars. In seinen Interviews hatte er oft betont, er glaube, daß die Musik in der Zukunft von Maschinen übernommen werde. Hatte er schon den Techno im Ohr und die Welt der Computer vor Augen? Das Cover der Platte war äußerst originell. Ray hatte ein heruntergekommenes Hotel mit dem Namen Morrison entdeckt. Der Name prangte in gelben Lettern über der Fensterscheibe. Der Besitzer wollte aber keine Fotos im Vorraum erlauben. Die Doors standen hinter der Scheibe. Als der Besitzer für einen Moment nicht da war, rannte der Fotograf hinaus und schoß von außen ein herrliches Foto. Die vier Doors standen direkt unter dem Schriftzug. Nach den Aufnahmen zu dieser Platte feierten die Doors mit ihren Freunden noch einmal ein Fest. Paul Ferrara sprach einen Toast nach dem anderen auf die Doors aus und warf dann sein leeres Glas jedes Mal in den Kamin. Die Kritiken zu diesem Album waren ausgezeichnet. Bruce Harris von Jazz & Pop schrieb: "Eine Rückkehr zum prallen Zorn früherer Doors-Musik, die von Funk, Gehalt und erdiger Energie nur so wimmelt. Morrison Hotel ist eines der herausragenden musikalischen Ereignisse der Rockmusik 1970." Die Doors waren nicht zum Woodstock-Festival gefahren, weil Jim die Akustik auf diesen Freilichtbühnen nicht schätzte. Sie konnten nicht wissen, daß dieses Festival zu einem Jahrhundertereignis wurde. Dafür spielten sie mit den Who beim Isle of Wight Festival am 29. August 1970. Jim war dagegen, aber er sprach nicht darüber. Sie traten mitten in der Nacht auf und Jim mußte am nächsten Tag rechtzeitig zu seinem Gerichtstermin zurück sein. Die Fans hatten den Zaun des Geländes niedergerissen und der Veranstalter war kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Jim bewegte sich keinen Zentimeter auf der Bühne. Er war deprimiert und es fehlte ihm die Energie. Seine Stimme klang voll und mächtig, er sang, als ginge es um sein Leben, aber innerlich schien er gebrochen. Im Oktober 1970 heiratete der Schlagzeuger John Densmore auf dem Rasen des "Lake Shrine Self-Realization-Center" in den Pacific Palisades. Auf der anschließenden Feier sang Jim für die ältere Generation die ganze Nacht alte Bluesnummern und alle waren davon begeistert. Bald darauf heiratete auch Robby. Die Ereignisse überstürzten sich. Jim hatte gerade den Film HWY (ein Kürzel für Highway) beendet. Ein Roadmovie mit Jim als Regisseur und als Hauptdarsteller. Der Film war mit einem hohen Budget gedreht worden und er hatte seinen eigenen, mystischen Reiz. Jim spielte einen Anhalter in der Wüste und ein Autofahrer nimmt ihn mit. Der Fahrer verschwindet und Jim sitzt am Steuer. Er geht in eine Telefonzelle und spricht in den Hörer, er habe jemanden umgebracht. Tatsächlich rief Jim in dieser Telefonzelle Michael McClure an, ohne ihm zu erzählen, worum es ging. Jim wollte sich einen Spaß daraus machen. Michael dachte, Jim sei wieder einmal betrunken und vergaß die ganze Sache. Es folgten lange Szenen aus der Wüste und aus dem nächtlichen Los Angeles. Alles wurde spontan gedreht und der Film endet im Ungewissen. Der Film war zwar ein kleines, impressionistisches Kunstwerk, aber kommerziell war er nicht auszuwerten. Er wurde beim Filmfestival in Vancouver und bei privaten Aufführungen gezeigt. Außerdem wollte Jim "Die Lehren des Don Juan" von Carlos Castaneda verfilmen, bekam aber die Rechte nicht. In der PR-Abteilung der Firma Elektra hatte man eine neue Kampagne entwickelt. Jim sollte als Dichter, Lyriker, Sänger, Schauspieler und Regisseur verkauft werden. Aufgrund eines einzigen Satzes, der in dem Papier stand, lehnte Jim Morrison das Konzept ab. Da stand: "Es gibt keine Leonardos in der Szene, und dieses Image wird auf dem Land gut ankommen." Jim fand das Konzept nicht falsch, sondern falsch motiviert und zu hochtrabend. Er wollte kein Image mehr. Jim schrieb zusammen mit Michael McClure ein Drehbuch nach Michaels unveröffentlichtem Roman "The Adept". Es wurde länger als der Roman und war bald so dick wie ein Telefonbuch. Am Ende strichen sie es auf neunzig Seiten zusammen und dann zerschlug sich das ganze Projekt. Atlantic Records und MGM Records wollten Jim für sich allein haben und machten ihm großzügige Angebote. Allein hätte er wieder einmal Millionen machen können, aber Jim wollte bei der Gruppe bleiben. Jeder wollte ihn als Schauspieler auf der Leinwand haben, aber Jim weigerte sich. In New York hatte Jim die Journalistin Patricia Kenneally kennengelernt. Sie schrieb für die Zeitschrift Jazz & Pop. Diese Beziehung wurde eine ernste Gefahr für Pamela. Patricia hatte eine lobende Kritik über Jims Gedichte geschrieben. Er schickte ihr ein Dankestelegramm. Er war sehr gerührt und innerlich bewegt, weil jemand zum ersten Mal über sein Werk geschrieben hatte und nicht über ihn selbst. Patricia war sehr intelligent und die beiden verstanden sich auf der intellektuellen Ebene sehr gut. Auch physisch fühlten sie sich zueinander hingezogen. Sie hatte lange, dunkelrote Haare und braune Augen. Jim besuchte sie sehr oft und er schrieb ihr regelmäßig Briefe und auch Gedichte. Das hatte er bisher bei keiner Frau getan. Er kaufte ihr Bücher, darunter Sonetten von Shakespeare, Petrarca und die Flugzeuggedichte von Allen Ginsberg. Patricia schenkte ihm okkulte Bücher, für die er sich sehr interessierte. Sie gingen gemeinsam spazieren und manchmal auch ins Kino. Patricia war das, was man hierzulande eine Hexe nennt. Sie gehörte einer alten, keltischen Naturreligion an, die Gott auch unter einem weiblichen Aspekt verehrte. Dieser Gedanke faszinierte Jim. In einer Hexenzeremonie ließen sie sich trauen und dabei mußten sie das Dokument mit einem Blutstropfen besiegeln. Das Blut floß auch in einen Becher und wurde dann getrunken. Jim fiel dabei in Ohnmacht. Es war ein karmisches Gelöbnis der Liebe und Treue für die Ewigkeit. Während der Prozeß in Miami noch in vollem Gange war, kam Patricia nach Miami und eröffnete Jim, daß sie schwanger war. Für Jim war es die ungünstigste Zeit, um ein Kind zu haben. Er hatte ein großes Problem mit dem Alkohol, er hatte diesen Prozeß am Hals und er hatte immer noch seine kosmische Lebensgefährtin Pamela, die inzwischen sein Geld mit vollen Händen ausgab. Jim wollte ein guter Vater sein. Was hätte dieses Kind von ihm gehabt? Er fühlte sich dieser Aufgabe nicht gewachsen. Patricia wollte nicht ein Kind in die Welt setzen, nur weil es von Jim war. Für ein Kind waren die Bedingungen einfach zu schlecht. Beide entschlossen sich, das Kind abtreiben zu lassen. Sie dachten, daß dieses Kind hätte ein Genie werden können. Sie weinten und fielen sich in die Arme. Sie weinten bitterlich. Das Album "Morrison Hotel" hatte derweil auch eine goldene Schallplatte eingebracht. Die Doors waren die erste amerikanische Band, die hintereinander fünf goldene Schallplatten für LPs bekommen hatte. Zwischendurch gaben sie auch wieder große und erfolgreiche Konzerte. Jim rasierte sich seinen Bart wieder ab. Er hatte ihn sich nur stehen lassen, weil er nicht mehr unbehelligt über die Straße gehen konnte und nun war er ihm lästig geworden. Er hatte auch nicht viel genutzt. Jims Gedichtbände waren bei Simon & Schuster herausgekommen. Es war ein renomierter Verlag, aber man hatte sich nicht an die Vereinbarungen gehalten. Auf dem Band stand nicht der volle Name James Douglas Morisson und auf dem Umschlagdeckel wurde der Rockstar Jim Morrison angepriesen. Darüber war Jim natürlich enttäuscht, dennoch weinte er vor Freude, als er das Exemplar in den Händen hielt. Wieder hatte sich ein Traum erfüllt. Jetzt stand sein Buch in den Regalen neben den anderen, vielgeliebten Dichtern. Trotz widersprüchlicher Zeugenaussagen und einer Konzertaufnahme, die keinen Beweis ergab, trotz einhundertfünfzig Fotos, auf denen keine Entblößung zu sehen war, wurde Jim zu 500 Dollar Strafe sowie acht Monaten Gefängnis mit Zwangsarbeit verurteilt. Die Anklagepunkte, die tatsächlich zutrafen (Trunkenheit in der Öffentlichkeit und laszives Benehmen) wurden fallengelassen. Der Richter hatte alles verdreht. Jim war tatsächlich sehr betrunken gewesen, aber er hatte sich nicht entblößt. Jim selbst hatte ausgesagt, er sei zu betrunken gewesen, um sich an irgend etwas zu erinnern. Jims Anwalt Max Fink ging in die Berufung. Die Doors hatten beschlossen, zur Not bis zum Obersten Gerichtshof zu gehen. Sie befürchteten, Jim würde die Zeit im Gefängnis nicht durchstehen. Zu einer Berufungsverhandlung kam es aber durch Jims Tod nicht mehr. Das drohende Urteil verfolgte Jim für den kurzen Rest seines Lebens. Nach Jims Tod wurde der Richter wegen Bestechlichkeit des Amtes enthoben. Ihr letztes Konzert gaben die Doors in New Orleans. Es war ein Lagerhaus in den Docks. Mitten in einem Song hatte Ray das Gefühl, Jim hätte die Bühne verlassen. Sein Kopf hing immer mit geschlossenen Augen über den Tasten, aber er konnte die anderen spüren. Während der langen, freien Improvisation in "Light My Fire" ging Jim manchmal hinter die Bühne, um sich ein Bier zu holen. Sie spielten aber nicht "Light My Fire". Ray blickte auf und sah Jim vor dem Mikrophon stehen. Er stand da und war dennoch gegangen. Sein Geist und seine Kraft hatten ihn verlassen. Sein inneres Wesen hatte ihn verlassen. Er sang weiter ohne Gefühl für den Text und ohne Leidenschaft. "The End" war das letzte Stück, das die Doors gemeinsam auf der Bühne sangen. Jim spürte diese Ohnmacht und am Ende des Stückes überkam ihn eine verzweifelte Wut. Er schlug den Mikrophonständer immer und immer wieder auf die Bühne. Als wollte er die Bühne und mit ihr sein ganzes Leben zerschlagen. Der Roady Vince kam auf die Bühne gerannt. Jim ließ sich sofort beruhigen und er nahm ihn in die Arme. Die Gruppe kam zu dem Entschluß, daß sie die nächste Zeit nicht mehr auf die Bühne gehen wollten. Jim mußte sich erholen. Er mußte wieder der Dichter werden, der er einmal war. Er mußte sich von den Saufkumpanen trennen, die von der Morrison-Stütze lebten. Er brauchte dringend eine Pause. Sie wollten nur noch Songs schreiben. Jim war einverstanden und sagte, sie müßten sich ja auch an die Arbeit für das letzte Album machen. Die anderen waren erschrocken. Wieso letztes Album? Wollte er sich von ihnen trennen? Jim meinte das letzte Album für die Firma Elektra. Oder hatte er schon eine Vorahnung? An seinem siebenundzwanzigsten Geburtstag ging Jim allein in das Studio und las seine Gedichte. Zwischendurch trank er Schluck für Schluck eine Flasche Whiskey leer. Jim hatte einmal in einem Interview gesagt, im Gegensatz zum Selbstmord sei das Trinken eine langsame Kapitulation. Er saß sechs Stunden in dem Studio, aber am Ende waren auf dem Band nur achtzig Minuten brauchbares Material. Dieses Band hatte er sich sozusagen selbst zum Geburtstag geschenkt. Nach seinem Tod vertonten die Doors diese Gedichte und brachten sie unter dem Namen "An American Prayer" auf den Markt. Mitten in den Aufnahmen zu "L.A. Woman" verließ Paul Rothchild die Gruppe. Er fand die Musik einfach nicht überzeugend. Er langweilte sich hinter dem Mischpult zu Tode. Den Song "Riders On The Storm" bezeichnete er als Cocktailmusik. Er wollte einfach nicht mehr mitmachen und schlug der Gruppe vor, die Platte selbst zu produzieren. Die Doors waren darüber deprimiert, gingen aber auf diesen Vorschlag ein und schleppten das gesamte Equipment in ihren Proberaum. Das Mischpult stand auf Bill Siddons Schreibtisch im ersten Stock. Jeden Abend verwandelten sie sein Büro in einen Kontrollraum. Im Durchgang zur Toilette nahm Jim seinen Gesang auf. Mit dem Hall der Toilette! Bruce Botnick war zum Glück bei ihnen geblieben. Er wußte, daß sie das Aufnahmeverfahren auf ein Minimum reduzieren mußten, das bedeutete aber auch weniger Streß. Bruce ließ alle mehr Verantwortung übernehmen und das wirkte sich gerade auf Jim sehr positiv aus. Er mußte jetzt nicht andauernd seine Takes wiederholen. Wenn Jim zu den Aufnahmen ins Studio kam, war er nicht betrunken. Sie machten jetzt alles nach dem eigenen Feeling und es klappte phantastisch. Jim hatte eigens für den Regisseur Michelangelo Antonioni den Song "L Àmerika" für den Film "Zabriski Point" komponiert. Antonioni besuchte sie bei den Proben und Jim erklärte ihm, daß das L für Lateinamerika stand. Jim sprühte vor Intelligenz. Die Doors fanden seinen Film "Blow-Up" sehr gut. Sie gaben sich große Mühe, aber der Regisseur blieb reserviert. Der Song klang düster und war voller Dissonanzen. Er konnte einem eine Gänsehaut über den Rücken jagen und hätte sicher gut zu dem Film gepaßt. Vielleicht waren die Instrumente bei den Proben zu laut oder Antonioni mochte die Musik nicht. Er verabschiedete sich einfach und verzichtete auf den Song. "L.A. Woman" war wieder ein reines Blues-Album. In dem Song "L.A. Woman" wird die Stadt wie eine Frau gesehen. Eine einsame Frau, die man liebt: "Nun ich kam vor einer Stunde in die Stadt, um zu sehen, woher der Wind weht, zu den kleinen Mädchen in ihren Hollywood-Bungalows. Bist du eine glückliche kleine Lady in der Stadt des Lichts? Oder nur ein weiter verlorener Engel in der Stadt der Nacht?" Er verwendete in diesem Song das Anagramm seines Namens Mr. Mojo Risin. Im Slang der Schwarzen bedeutet Mojo sexuelle Potenz. Die ganze Platte war ohne technischen Schnickschnack aus dem Bauch heraus gemacht. Sie klangen jetzt wieder wie eine Garagenband und der Kreis hatte sich geschlossen. Der Song "Hyacinth House" hat einen traurigen und mythischen Hintergrund: "Was machen sie dort im Hyazinthenhaus? Wollen sie an diesem Tag die Löwen beruhigen? Ich brauche einen neuen Freund, der mich nicht belästigt. Ich brauche einen, der mich nicht braucht. Ich sehe, daß das Badezimmer frei ist. Ich glaube, da ist jemand in der Nähe. Ich bin sicher, daß mir jemand folgt. Warum hast du den Herzbuben abgelegt? Es war die einzige Karte im Spiel, die ich noch spielen wollte. Und ich sage es noch einmal: Ich brauche einen brandneuen Freund." In der griechischen Mythologie war Hyacinthus der Freund Apollos. Sie warfen den Diskus im Spiel und Hyacinthus wurde aus Versehen von Apollo am Kopf getroffen und starb in seinen Armen. Er starb in der Blüte seiner Jugend und seiner Schönheit. Apollo weinte um ihn und klagte, da schoß eine Blume hervor, die den Namen des Freundes unsterblich machen sollte: Die Hyazinthe. Ray hatte sich immer Apollo genannt. Jim war der Gegenpol Dionysos und gleichzeitig sein Freund Hyacinthus. Die Blume war der Ruhm der Lieder. Es sind lauter Bilder der Vorahnung, wenn er von dem Badezimmer singt, das jetzt frei ist. Er wird diesen Raum betreten, um zu sterben. Und da ist jemand in der Nähe ist, der ihm folgt. Es ist der Todesengel. Der letzte Song auf der Platte war "Riders On The Storm". Der Text ist der traurigste von allen: "Reiter im Sturm. Wir sind in diese Welt geworfen wie ein Hund ohne Knochen und am Ende ganz allein." Das Lied gleitet leicht dahin und man könnte es bis in alle Ewigkeit hören. Es führt den Hörer in Trance und läßt ihn abheben. Man hört das Rauschen des Regens, Donner und Blitz, während die Orgel in hohen Tönen ihr Cocktail-Geplänkel von sich gibt und Jims Stimme beruhigend und sicher wie ein guter Surfer über die Klangwellen reitet. Der Song "Riders On The Storm" ist wohl die beste Cocktailmusik, die jemals geschrieben worden ist. Für diese letzte Platte der Doors mietete Jac Holzman wieder eine Reklametafel am Sunset Strip. Jetzt standen dort überall Reklametafeln für Plattenveröffentlichungen. Die Doors hatten einen Trend gesetzt. Die Reklametafel zeigte das Bild auf dem Innencover der Platte. Es zeigte das aufsehenerregende Bild einer Frau, die an einen Telegrafenmast gekreuzigt ist. Die erste Werbetafel der Doors hatte in Richtung Osten gestanden. Es war die Richtung der aufgehenden Sonne. Die letzte Reklametafel stand in Richtung Westen. Die Richtung der untergehenden Sonne." The west is the best. Get here and we will do the rest." Jim sagte, er werde sich beim Doors-Büro unter dem Namen Mojo Risin melden, wenn er nach Afrika gegangen sei. Er dachte dabei an Rimbaud. Dieser junge Dichter hatte sein Werk mit neunzehn Jahren vollendet und war dann nach Afrika gegangen, um Sklavenhändler und Goldsucher zu werden. Niemand nahm das ernst. Jim wäre am liebsten im großen Nichts verschwunden. Das war immer seine Idee für einen Film gewesen. Jim wollte einfach für eine Weile untertauchen. Er suchte einen Ort, an dem er einfach nur er selbst und ein Dichter sein konnte. Er entschloß sich, nach Paris zu gehen. Alle seine Verpflichtungen der Plattenfirma gegenüber waren erfüllt. Er bat Pamela, dort eine Wohnung zu suchen. Er hatte die Idee im Kopf, dort eine impressionistische Autobiographie zu schreiben. Er wollte mindestens ein halbes Jahr in Paris bleiben. Jim war immer noch von den französischen Dichtern fasziniert. Zum Abschied schenkte er seinen Freunden den Gedichtband "An American Prayer". Im März flog Jim nach Paris und wohnte mit Pam in einer schönen Wohnung in der Gegend nahe der Bastille. Er suchte die Plätze auf, in denen seine großen Vorbilder gelebt hatten und er saß in den Straßencafés. Pamela besuchte ab und zu heimlich einen Grafen, mit dem sie seit längerer Zeit ein Verhältnis hatte und der sie mit Heroin versorgte. Jim und Pam machten eine Reise nach Südfrankreich und Spanien. In Madrid besuchten sie den Prado und Jim bewunderte das Bild "Im Garten der Lüste" von Hieronymos Bosch. In Granada war Jim von der Alhambra beeindruckt. Dann nahmen sie das Schiff nach Tanger und reisten weiter durch ganz Marokko. Danach fuhren sie für eine Woche nach Korsika. Jim verlor sein Übergewicht und verwandelte sich wieder in einen schönen jungen Mann mit einem zärtlichen Blick in den Augen. "See me change." Im Theater lernte Jim die französischen Filmemacher Agnes Varda und ihren Ehemann Jaques Demy kennen. Jim hatte angefangen, Tagebuch zu schreiben. Er stellte eine Sekretärin ein, die sich um alles kümmerte. Als Jim in Kalifornien anrief, freute er sich sehr, als er erfuhr, daß die Kritiker das neue Album mochten und daß es sich gut verkaufte. Jim durchstreifte die Stadt und oft setzte er sich viele Stunden lang auf eine Bank und schrieb. Posthum erschienen diese Gedichte unter dem Namen "Wilderness" und "The American Night". Das Trinken hatte er dennoch nicht aufgegeben. Sein Gesundheitszustand war nicht sehr gut. Er hatte Hustenanfälle und einmal spuckte er Blut. Einmal turnte er auf dem Balkonsims eines Hotels herum und fiel auf das Dach eines parkenden Autos. Als Pamela auf die Straße eilte, stand er schon wieder auf den Beinen. Jim versackte immer wieder im "Rock´n´Roll Circus", einem Nachtclub, in dem sich die Dealer trafen. Am Ende hatte er schwere Depressionen. Er schrieb Patricia in einem Brief, daß er nicht mehr leben wolle. In sein Notizbuch schrieb er: "Wenn ich zurückschaue auf mein Leben, fallen mir Postkarten ein, verblichene Schnappschüsse, verblaßte Poster aus einer Zeit, die mir entfallen ist." Und seine letzten Zeilen lauteten: "Angst vor Flugzeugabsturz. Und Nacht war, was Nacht sein sollte. Ein Mädchen, eine Flasche und gesegneter Schlaf. Ich habe meinen Samen durchs Herz der Nation gepflügt. Einen Keim in die Blutbahn der Seele gespritzt. Nun befasse ich mich mit der Poesie des Geschäfts und werde vorübergehend "Prinz der Industrie". Ein geborener Führer, ein Dichter, ein Schamane mit der Seele eines Clowns. Was mache ich in der Stierkampfarena, wo jede öffentliche Person sich als Führer bewirbt. Zuschauer am Grab. Schaulustige bei einem Aufstand. Angst vor Augen. Ermordung. Betrunkensein ist eine gute Maske. Ich trinke, damit ich mit Arschlöchern sprechen kann. Einschließlich meiner selbst. Das Entsetzliche am Geschäft, das Problem mit Geld und Schuld, verdiene ich das? Das Treffen. Manager und Agenten losgeworden. Nach vier Jahren stehe ich da mit einem Verstand wie ein weicher Hammer. Bedauern um vertrödelte Nächte und verschwendete Jahre. Ich habe alles weggepißt. Amerikanische Musik. Ende mit herzlichem Abschied und Plänen für die Zukunft. Kein Schauspieler, Schriftsteller, Filmemacher welcher meiner Egozellen wird erinnert werden. Good bye America. Ich hab dich geliebt. Geld von Zuhause. Viel Glück. Bleib sauber." Niemand weiß genau, was am 3. Juli 1971 geschah. Wahrscheinlich ging er mit Pamela ins Kino, um sich den Film "Death Valley" anzusehen. Sie sahen sich die Filme aus dem Urlaub an und dann hörte Jim noch einmal alle Doors-Platten. Am Ende hörte er noch einmal "The End". Sie gingen ins Bett und dann sagte Jim, er fühle sich nicht gut. Wieder mußte er Blut spucken. Pamela wollte einen Arzt holen, aber Jim meinte, es wäre nicht nötig, es ginge ihm schon besser. Er wollte ein Bad nehmen. Pamela schlief wieder ein. Als sie wieder aufwachte, lag Jim immer noch nicht im Bett. Sie ging ins Badezimmer und fand ihn dort mit einem Lächeln auf den Lippen tot in der Wanne liegen. Vielleicht hatte Jim auch etwas Heroin aus Pamelas Dose genommen und es dann geschnupft, weil er dachte, es sei Kokain. Vielleicht hatte er es auch absichtlich verwechselt. Niemand weiß es. Jemand sah ihn in dieser Nacht zum Flughafen gehen. Ein anderer sah ihn durch die Stadt schlendern. Pam rief ihre Freunde an, damit sie Hilfe holen, weil sie die Sprache des Landes nicht sprechen konnte. Ein Arzt untersuchte Jim und konnte nur noch den Tod feststellen. Es gab keine Anzeichen äußerer Gewalt. Auf dem Totenschein wurde als Todesursache Herzsversagen angegeben. Jim wurde in einen Sarg gelegt. Die Nachricht von Jims Tod sprach sich wie ein Lauffeuer in der Stadt herum. Als man im Büro der Doors in Los Angeles anrief, konnte Bill Sidddons die Nachricht von Jims Tod nicht glauben. In der Presse hatte man ihn schon so oft für tot erklärt und immer war er putzmunter in das Büro marschiert, um seine Post durchzusehen. Er rief bei Pamela in Paris an und da begriff er, daß die Sache ernst war. Er setzte sich in ein Flugzeug nach Paris und als er angekommen war, konnte er nur fassungslos vor dem Sarg stehen. Sie bestellten einen Leichenwagen und vier Sargträger. Jim wurde heimlich und in aller Stille auf dem Père Lachaise beigesetzt. Bill Siddons und Pamela waren übereingekommen, daß sein Tod geheimgehalten werden sollte. Nur fünf Freunde waren bei seiner Beerdigung. Man wollte den Rummel um seinen Tod vermeiden. Nur zwei Tage vor seinem Tod hatte Jim mit einem Freund einen Spaziergang über den Père Lachaise gemacht und geäußert, daß er dort begraben sein wollte. Er wollte neben Chopin, Bizet, Edith Piaf, Oscar Wilde und Balzac liegen. Jim hatte Pamela zu seiner Alleinerbin gemacht. Er hatte ihr auch ein kleines Grundstück vermacht, das er irgendwann einmal gekauft hatte und auf dem später eine Ölquelle gefunden wurde. Pamela kam über Jims Tod nicht hinweg. Sie starb nur drei Jahre später an einer Überdosis Heroin. Die anderen Bandmitglieder haben seinen Tod auch nur sehr schwer verkraftet. Ray Manzarek wollte es lange Zeit nicht glauben. Die Doors flogen nach England, um einen neuen Sänger zu finden, aber niemand konnte Jim und seine Lyrik ersetzen. Wer hatte diese einzigartige Ausstrahlung, diese Wärme und Leidenschaft in der Stimme, wer konnte diese einzigartigen Worte finden: "Sie warten darauf, uns in den abgetrennten Garten zu bringen. Weißt du, wie bleich und wollüstig erregend kommt der Tod in seltsamer Stunde? Unangemeldet, ungeplant, wie ein schreckender, überfreundlicher Gast, den du hast zu Bett gebracht. Tod macht Engel aus uns allen und gibt uns Schwingen, wo wir einst Schultern hatten, sanft wie Rabenkrallen. Kein Geld mehr, kein Maskenkostüm. Das andere Königreich scheint das beste, bis ein anderer Rachen entblößt Inzest und losen Gehorsam vor einem Naturgesetz. Ich will nicht gehen. Ziehe ein Fest von Freunden der riesigen Familie vor." Der Dichter Rimbaud hatte gesagt: "Der Dichter macht sich zum Seher durch eine lange, ungeheure Zerrüttung aller Sinne - jede Form der Liebe, des Leidens, des Wahnsinns." Das trifft sicherlich auf Jim Morrison zu. Auf dem Video "A Tribute to Jim Morrison" kann man ihn sehen, wie er da mit dem Rücken an der Wand lehnt, langsam die Augen öffnet, als wäre er aus einer anderen Welt zu uns erwacht und dann ganz leise und mit diesen sorgsam gewählten Worten wie ein Prophet zu uns spricht: "Alles was wir zu tun haben, ist die Schöpfung zu preisen und das ist uns immer noch nicht gelungen." Er sagte, daß er gern ein Musikstück machen würde, daß ein Ausdruck purer Freude sei, reiner, grenzenloser Freude. Wie das Kommen des Frühlings oder die Daseinsfreude - ein Gefühl völliger Zwanglosigkeit. Immer wieder sang er: "Niemand wird uns vergeben, die Morgendämmerung verschwendet zu haben." Die Morgendämmerung war die Zeit, in der Jim seine Gedichte schrieb. Es ist der große Aufruf an uns alle, immer wieder den Versuch zu wagen, das große Werk zu vollenden. Als die Doors nach Jims Tod im Studio die Gedichte von "An American Prayer" vertonten, erhob sich plötzlich eine Amsel und flog im Raum herum. Niemand wußte, wie sie da hineingekommen war, denn die Wände des Studios waren alle schalldicht und die Fenster waren aus Panzerglas. Es waren hermetisch abgeschlossene Räume. Der Vogel erhob sich, als Jim diese ergreifend schlichte und ans Herz gehende Melodie mit folgendem Text sang: "Greifvogel, fliegt hoch, fliegt hoch in den Sommerhimmel. Greifvogel fliegt hoch, fliegt leicht vorbei. Greifvogel, fliegt hoch, werde ich sterben? Greifvogel nimm mich mit auf deinen Flug." Er nahm ihn wohl mit, denn für mich ist dieses Lied unvergeßlich.
Jim Morrison / The Scream of the Butterfly / Schirmer/Mosel
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